Archiv ’21

Alles gut? | Sonntag, 27. Juni 2021

Ein „Lichtblick“ von Pfarrerin Kerstin Heinrich

Die Geschichte von Josef ist eine der spannendsten, die die Bibel zu bieten hat. In 14 Kapiteln des Buches „Genesis“ wird erzählt von Neid unter Geschwistern und von einer Vaterliebe, die einem Kind mehr gilt als den anderen. Es wird erzählt von hinterlistigen Plänen, von Wut und Gewalt. Von Lüge und Verrat, von Sklaverei und Ungerechtigkeit. Von zurückgewiesener Sympathie und einem falschen Urteil, von Träumen, Macht und Machtmissbrauch.

Diese Geschichte ist wie gemacht für die Bühne. Der große Musical-Komponist Andrew Lloyd Webber hat seine Version „Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat“ 1968 herausgebracht. Aber es gibt noch zahlreiche weitere Produktionen. Zum Beispiel ein Kindermusical, das 2019 in Dresden auf die Bühne gebracht wurde. Hier ein „Making-of“-Video zum Titelsong „Wunder der Versöhnung“.

„Ende gut – alles gut.“ Stimmt dieses Sprichwort eigentlich? Ist alles gut, wenn das Ende gut ist? Ich weiß nicht recht. Ich habe meine Zweifel. Verletzungen und Wunden können bleiben. Sie vernarben vielleicht, aber sie bleiben. Enttäuschungen und Kränkungen können bleiben – trotz gutem Ende. Ein gutes Ende kann helfen, das Schwere und Böse, das gewesen ist, vielleicht etwas besser auszuhalten. Aber wettmachen kann es das nicht. Oder?

Wenden wir uns der Geschichte von Josef zu, dem Lieblingssohn seines Vaters Jakob von dessen Lieblingsfrau Rahel. Der Vater schenkt Josef ein besonders schönes Gewand, worauf der Junge sich auch direkt etwas einbildet. Er provoziert seine Brüder, indem er ihnen brühwarm erzählt, dass diese sich in seinen Träumen immer wieder demutsvoll vor ihm verneigen. „Willst du unser König werden und über uns herrschen?“ werfen sie ihm daraufhin an den Kopf. Diesem eingebildeten Kerl wollen sie es zeigen – und sich gleichzeitig an ihrem ungerechten Vater rächen, der nur noch Augen für seinen Liebling hat. Bei nächster Gelegenheit packen sie Josef und werfen ihn in einen leeren Brunnen. Während sie noch darüber streiten, ob sie ihn töten oder einfach nur im Brunnen verhungern lassen sollen, kommen Kaufleute mit ihrer Karawane vorbei, die auf dem Weg nach Ägypten ist. Denen verkaufen sie den kleinen Bruder kurzerhand. Dem Vater erzählen sie später, ein wildes Tier habe Josef gerissen und zeigen ihm Josefs blutbeschmiertes Kleid.

Als Sklave kommt Papas Liebling in Ägypten in das Haus des Potifar. Dessen Frau verliebt sich in den Fremden. Als Josef ihre Avancen zurückweist, beschuldigt sie ihn des Übergriffs. Josef landet zu Unrecht im Gefängnis. Aber das ist nicht die letzte Station für ihn. Durch seine Gottesgabe der Traumdeutung wird er bekannt. Mit Gottes Hilfe kann er die Träume des Pharaos deuten, die zunächst sieben fette, dann aber sieben magere Jahre voraussagen. Der Pharao vertraut Josef. So wird er zu seinem Berater und schließlich zum zweitmächtigsten Mann in Ägypten. Für die sieben mageren Jahre lässt er üppige Vorräte anlegen. Und als die Zeit der Dürre kommt, haben die Menschen zu essen. Auch aus dem Ausland kommen viele, um Getreide zu kaufen. Josefs Brüder kommen aus dem selben Grund nach Ägypten. Und nach einigem Hin und Her kommt es zu der Begegnung von der der heutige Predigttext erzählt.

Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben. Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: „So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben.“ Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten. Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: „Siehe, wir sind deine Knechte.“ Josef aber sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen.“ Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Genesis 50, 15-21

„Ende gut – alles gut.“ So scheint es. Aber viele Gefühle gehen durcheinander. Die Brüder haben Angst. Sie fürchten sich vor Josef: Wird er Rache üben? Ihnen heimzahlen, was sie ihm angetan haben? Er hätte allen Grund dazu. Vielleicht meldet sich in ihrer Angst auch ihr schlechtes Gewissen: Wie konnten sie ihren eigenen Bruder nur in den Brunnen werfen und dem Vater so viel Leid zufügen? Warum hatten sie so viel Hass und Wut in ihrem Herzen? Bedrängende Fragen.

Als Josef seine Brüder so sieht, weint er. Da ist Schmerz über das geschehene Unrecht und da ist Erleichterung über die Bitte um Vergebung in seinem Herzen und in seinen Tränen. Dann die Geste der Brüder: Sie fallen vor Josef nieder. „Wir sind deine Diener, deine Knechte“, sagen sie. Damit geben sie ihr Leben ganz in die Hand ihres Bruders, dessen Leben sie einst aufs Spiel gesetzt haben.

Josef reagiert mit großen, beeindruckenden Worten: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“ Josefs Blick auf sein Leben ist ein barmherziger Blick. So kann er das Geschehene deuten und annehmen. Sein Deutesatz ist auch eine Einladung an seine Brüder, neu und anders zurückzusehen. Das, was gewesen ist, wird benannt. „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen.“ Das Böse wird nicht verharmlost und kleingeredet nach dem Motto „Schwamm drüber“ oder „Es war noch gar nicht so gemeint“. Nein, das Böse ist böse ohne Wenn und Aber. Josef sieht es, er benennt es und er benennt auch die, die es getan haben. Doch das ist nicht alles. Dabei bleibt Josef nicht stehen. Josef sieht auch das Gute, das Gott getan hat. Sein Blick zurück ist ein weiter Blick und ein dankbarer Blick. Wie gut, wenn ein Mensch sein Leben so betrachten und deuten kann.

Wie schaue ich auf mein Leben zurück? Wie deute ich das, was gewesen ist? Welchen Reim mache ich mir darauf? Wie bewerte ich das, was war? Was habe ich selbst zu verantworten? Was haben andere zu verantworten? Was hat Gott zu verantworten? Josef findet einen guten Weg. Seine Geschichte findet ein gutes Ende mit Vergebung und einem neuen Anfang. Mit Zuneigung und neuem Vertrauen. Da stimmt das mal: „Ende gut – alles gut“.

Aber was ist mit all den anderen Geschichten? Was ist mit den Lebens-, Glaubens- und Familiengeschichten, die kein gutes Ende nehmen? Es gibt Konflikte, die ungelöst bleiben. Es gibt Hass, der nicht durch Liebe besiegt werden kann. Es gibt Verletzungen, die offene Wunden bleiben. Die Bibel kennt auch diese Geschichten: Zwischen Kain und Abel kommt es zum heimtückischen Brudermord. Jakob und Esau müssen nach der Betrugsgeschichte um das erschlichene Erbe getrennte Wege gehen.

Auch so ist das Leben, erzählt die Bibel. Auch für die Frauen und Männer Gottes ist es nicht einfacher, schöner, leichter und harmonischer. Nein, manches bleibt offen. Manches bleibt ungelöst und unvergeben im Hinblick auf die eigene Person, auf das Miteinander, auch in Bezug auf Gott. Manchmal ist das Gute, das Gott tut, einfach nicht zu sehen. Manchmal begegnet uns ein fremder, dunkler Gott. Manchmal gibt es kein gutes Ende. Manchmal ist nichts gut.

Trotzdem: Die Geschichte Josefs und seiner Brüder verstehe ich als eine Ermutigung für uns, aufeinander zuzugehen, auch wenn wir verletzt und enttäuscht worden sind. Als Ermutigung, die Hand zu reichen und einen neuen Anfang zu wagen – auch mit denen, die es uns schwermachen. Sie ermutigt uns, das Gute zu sehen und es wertzuschätzen. Sie ermutigt uns, ein weites Herz zu haben für uns selbst und unsere eigene Geschichte, wo nicht alles glatt läuft, wo Wünsche unerfüllt geblieben sind, wo Schmerz auszuhalten war. Sie ermutigt uns, auch ein weites Herz für andere zu haben, über die wir uns ärgern, die uns zugesetzt und verletzt haben. Und sie ermutigt uns schließlich auch, ein weites Herz und einen weiten Blick für Gott zu haben, der anders ist als wir es uns denken und der nicht immer so eingreift, wie wir es uns wünschen.

Die Geschichte von Josef und seinen Brüdern zeigt uns, dass Gott auch auf den krummen Linien eines Lebens gerade schreiben kann. Vielleicht kann sie uns helfen, auch auf unser eigenes Leben barmherzig zurückzublicken – wann immer das mal nötig ist.

Amen.

Das Lied „Wie ein Fest nach langer Trauer / So ist Versöhnung“ stammt ursprünglich auch aus einem Josef-Musical. Die Melodie hat Johannes Nitsch komponiert, der Text wurde von Jürgen Werth verfasst. Letzterer hat das Lied vor einigen Jahren noch einmal neu aufgenommen und mit einem Video veröffentlicht.

Alles gut? | Gebet

Guter Gott,

von Josef hören wir: Du gedenkst, es für uns gut zu machen, auch wenn wir Menschen es böse oder schlecht machen, wenn wir gedankenlos und leichtsinnig handeln.

Darum bitten wir Dich:

Mach es gut für die, die sich wie Josef schwer tun, in ihren Familien gut miteinander auszukommen, denen es nicht gelingt ihre Konflikte zu lösen. Zeige Du Wege dazu.

Mach es gut, für die, die wie Josef verraten und verkauft sind, die ohne Heimat im Stich gelassen sind. Gib Du Halt.

Mach es gut für die, die wie Josef am Arbeitsplatz bedrängt werden, missverstanden oder gemobbt. Zeige Du Auswege.

Mach es gut für die, die gefangen sind oder sich gefangen fühlen. Verhilf zu innerer Freiheit.

Mach es gut für die, die für andere Verantwortung tragen. Hilf, kluge Entscheidungen zu treffen und umsichtig zu handeln.

Hilf uns zu sehen, wo Du es für uns gut gemacht hast und schenke uns damit die Freiheit zum Vergeben und zur Barmherzigkeit und dazu, unser Leben anzunehmen, mit seinen Höhen, Tiefen und Umwegen.

Amen

Alles gut? | Segen

Mit diesem „Lichtblick“ endet die sonntägliche Serie, die wir nun seit vielen Wochen aufrechterhalten haben, um diejenigen mit einzubeziehen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht am Gottesdienst teilnehmen konnten oder wollten.

Gott sei Dank ist das Infektionsgeschehen inzwischen so gering, dass wir wieder unbesorgt zusammenkommen können. Wir laden Sie herzlich ein, bei unseren Gottesdiensten auf dem Zimmerplatz mit dabei zu sein. Diese feiern wir den ganzen Sommer über. Beginn ist jeweils um 9:30 Uhr.

Und für Liebhaber des virtuosen Tastenspiels kommt hier als „Rausschmeißer“ noch eine Instrumental-Version des Liedes „Wie ein Fest nach langer Trauer“.

Suchen und finden | Sonntag, 20. Juni 2021

Ein „Lichtblick“ von Pfarrerin Kerstin Heinrich

„Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ (EG 503) haben wir heute morgen zu Beginn des Gottesdienstes gesungen. Mit dem gleichen Lied wird auch der heutige „Lichtblick“ eröffnet – von einer Organistin aus Freiburg, die neben allerhand Vogelgezwitscher auch noch weitere bekannte Melodien in ihre Fassung eingebaut hat. Erkennen Sie sie?

Das hat vermutlich jede und jeder von uns schon erlebt: Man hat etwas Wichtiges verloren und sucht dann wie verrückt danach: den Schlüssel, das Handy, den Führerschein oder einen irgendwo abgelegten Ring. Die Sucherei nimmt uns komplett in Anspruch. Die Wut und der Ärger über uns selbst und die Angst, dass das Gesuchte verschwunden bleibt, beherrschen uns und es kehrt erst dann Ruhe ein, wenn das Verlorene gefunden ist. Dann sind die Erleichterung und die Freude groß.

Im Lukasevangelium stehen drei Gleichnisse, die vom Verlieren, Suchen und Finden handeln, direkt hintereinander (Lukas 15,1-31): Das Gleichnis vom verlorenen Schaf, das von der verlorenen Drachme und das Gleichnis vom verlorenen Sohn.

Werfen wir einen Blick in das Haus der Frau, die ihre Drachme verloren hat und wie verrückt anfängt, sie zu suchen. Sie braucht dieses Geldstück unbedingt Manche vermuten, sie könnte Teil der Mitgift oder des Brautschmucks gewesen sein. Die Frau erleidet jedenfalls einen Verlust, der sie ärgert, und sie stellt das Haus auf den Kopf. In den Häusern der Antike war es dunkel, Glasfenster gab es nicht. Die Frau muss eine Lampe nehmen, um die Ecken auszuleuchten. Sie nimmt den Besen und kehrt gründlich. Und ich stelle mir vor, wie sie still oder laut vor sich hin flucht und die fehlende Drachme oder sich selbst verwünscht: „Mist, wie konnte das passieren? Warum bin ich nur immer so schusselig? Gestern war sie doch noch da…“

Ludwig van Beethoven hat passend zu diesem Gleichnis ein „Rondo“ für Klavier geschrieben, Opus 129. Es trägt den Untertitel „Wuth über den verlornen Groschen, ausgetobt in einer Kaprize“. Im folgenden Video werden Teile des Stücks mit einer lustigen Animation verbunden.

Nur wer einmal lange gesucht hat, nur wer wirklich wütend über einen Verlust war, versteht, wie es der Frau im Gleichnis geht. Schließlich hört sie es beim Kehren klimpern. Sie bückt sich und leuchtet mit der Lampe in den Schatten. Da blitzt die Drachme auf. Sie ist wiedergefunden. Die verdüsterte Welt der Frau hellt sich auf: „Ach, bin ich erleichtert! Ein Glück, wie schön! Das muss ich den anderen erzählen!“

Und sie ruft die Nachbarinnen und Freundinnen zusammen: Man kann es sich unmittelbar vorstellen, wie die Frauen zusammen Kaffee trinken –oder was man in der Antike halt trank –und sich darüber austauschen, was jede von ihnen schon einmal verloren und wieder gefunden hat – oder auch nicht.

Ähnlich ist es beim Gleichnis vom verlorenen Schaf. Der Schäfer macht sich auf den Weg, nachdem er festgestellt hat, dass eins seiner Schäfchen fehlt – und sucht so lange, bis er es findet. Und als er es findet, nimmt er es auf die Schulter, trägt es nach Hause und teilt seine Freude mit den Nachbarn und Freunden. Auch seine Geschichte geht gut aus und die anderen teilen sein Glück. Sie wissen was es heißt, etwas Wichtiges zu verlieren. Sie kennen die Sorge und auch die Erleichterung, wenn die Sorge verfliegt.

Das dritte Gleichnis des Verlorenen ist vielleicht das bekannteste: das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Auch hierzu ein kurzer animierter Film:

Auch dieses Gleichnis hat bis dahin eine heitere Prägung. Doch die Heiterkeit wird jäh getrübt. Der ältere Sohn ist neidisch auf den jüngeren. Er kann sich nicht mitfreuen. Für ihn, der immer anständig war, gab es nie solch ein Fest. Am Ende ist der Ausgang des Gleichnisses offen. Bleibt der Bruder in seinem Groll gefangen oder kann er sich mitfreuen? Ob das Gleichnis als Tragödie oder als Komödie endet, wird nicht erzählt.

In diesem letzten Gleichnis kommt also ein Aspekt hinzu, der in den ersten beiden „gut ausgehenden“ Gleichnissen keine Rolle spielt, der aber vielleicht erst der Grund für Jesus war, diese Gleichnisse überhaupt zu erzählen: Es gibt Menschen, denen es schwerfällt, einem anderen etwas zu gönnen. Der Neid auf andere, auf ihren Erfolg und ihr Ansehen, der Neid auf ihren Besitz oder ihre Beziehungen war damals und ist auch heute ein böses gesellschaftliches Gift.

Aber nicht nur die Erfolgreichen werden beneidet. Jesus erlebt, dass auch jene, die am Rand stehen, beneidet werden, wenn er sich ihnen zuwendet. Es ist grotesk: die, die alles haben, sind neidisch auf die Aufmerksamkeit, die jene bekommen, denen alles fehlt.

Das erleben wir heute auch. Viele würden am liebsten diejenigen, die in unser Land geflüchtet sind, die alles verloren haben – Heimat, Familie, Auskommen – wieder davonjagen. Die gehören nicht zu uns! Und es werden Neiddebatten geführt, die kolportieren, dass „denen“ alles in den Hals geschoben wird. Ich denke auch an den Argwohn, der Hartz-IV-Beziehern von manchen entgegengebracht wird, die selbst im Wohlstand leben.

Jesus wurde ständig mit dieser Art Neid konfrontiert. Wenn er mit Menschen zu Tisch saß, dann gab es immer welche die meinten: „Mit denen sollte man sich aber nicht zusammen sehen lassen. Die sind es nicht wert, die haben sich ihr böses Schicksal doch selbst verdient. Die Grenze zu denen darf nicht überschritten werden, sonst bricht die ganze Gesellschaft entzwei.“

Jesus jedoch war ein Grenzgänger. Mit souveräner Gelassenheit setzte er sich über solche Konventionen hinweg. Um seine Kritiker zu gewinnen, erzählte er Gleichnisse, kleine heitere Anekdoten, die diejenigen, die neidisch und mürrisch waren auf die Sünder, die Außenseiter und die Verachteten, mit denen Jesus zu tun hatte, zum Mitfreuen einluden:

„Du freust dich doch auch, wenn einer sein verlorenes Schaf wiederfindet? Freu dich doch mit, wenn hier Menschen am Tisch sitzen, die du längst verloren gegeben hast.“ „Du bist doch ein frommer Mann. Dann weißt Du doch auch, dass Gott der große Menschensucher ist und niemanden verloren gibt. Nimm doch ernst, was du glaubst, und freu dich mit, wenn jemand gefunden wird.“

Die Freude am Wiedergefundenen ist etwas Göttliches. Die Freude an der Rettung eines Menschen ist überhaupt das Größte. Wer sich freuen kann wie die Frau über die Drachme, wie der Schäfer über sein Schaf, wie der Vater über den wiedergefundenen Sohn, der spürt göttliche Freude, der erlebt, wie Gottes Reich kommt und die Welt neu macht.

Und manche von uns kennen vielleicht auch die andere Erfahrung: wie es ist, sich selbst verloren zu fühlen. Tage, Zeiten, in denen ich durch eine Wüste zu irren scheine, in denen ich das Gefühl habe, den Anschluss zu verlieren, in denen ich nicht weiß, wie es weitergehen soll. Wenn dann einer kommt und mir hilft, ist das der Beginn eines neuen Lebens. Wenn ein Engel kommt und mich stärkt, dann lebe ich auf und bekomme neue Kraft.

Wie gut, dass mir andere Menschen manchmal zu Hirten werden und mich aus tiefer Not retten und heimbringen. Wie gut, wenn sich Menschen auf die Suche machen nach mir, wenn ich abgetaucht bin, wenn ich mich vergrabe in meinem Kummer oder Zorn. Wie wunderbar, wenn andere sich freuen, dass es mir wieder besser geht. Wenn ich gefunden werde.

Jesus hatte eine Menge Humor und freundliche Menschenliebe. Den Neidischen entgeht das nur leider. Für sie erzählt Jesus das dritte Gleichnis vom verlorenen Sohn. Der ältere Sohn ist die beleidigte Leberwurst. Alle feiern, alle sind fröhlich. Es gibt Essen und Trinken vom Feinsten – doch der ältere Sohn schmollt. Und ich stelle mir vor, wie Jesus seine Zuhörer und Zuhörerinnen fragt: „Willst du dir diese Rolle wählen? Oder willst du – wie ich – zu denen gehören, die sich freuen, wenn ein Mensch den Weg zurück ins Leben findet? Komm, sei nicht neidisch! Schlucke deinen Ärger und deinen Argwohn herunter und freue dich! Und dann kümmere dich um deine Mitmenschen wie der Hirte. Geh deiner Nächsten nach, die in Not ist wie die Frau, die ihre Münze sucht. Breite die Arme weit aus, wenn einer zurückfindet und neu anfängt. Iss und trink mit ihm, nimm dir Zeit und teile seine Freude. Denn die Freude am Wiedergefundenen ist göttliche Freude.

Dem Kinderchor, der das folgende kurze Lied singt, kann man diese Freude anhören.

Suchen und Finden | Gebet

Guter Gott, du suchst das Verlorene, du siehst und nimmst uns Menschen freundlich an.
Wir bitten dich

für alle, dich sich verloren vorkommen und die Welt nicht mehr verstehen:
Gib ihnen Menschen, die diese Nöte verstehen.

für alle, die in Sackgasen des Lebens geraten sind und nach Hilfe Ausschau halten:
Gib ihnen Menschen, die ihnen eine neue Orientierung geben.

für alle, die sich ihres Lebens schämen, ihrer Armut, ihrer Gestalt, ihrer Krankheit:
Gib ihnen Menschen, die sie freundlich ansehen.

für alle, die krank sind an Leib und/oder Seele:
Gib ihnen Menschen, die sie trösten können

für die alten Menschen, die sich nicht mehr angesehen fühlen:
Schenke ihnen Menschen, die ihre Lebenserfahrung wertschätzen.

für die Kinder, die sich selbst überlassen sind:
Stelle ihnen Erwachsene an die Seite, die ihnen Liebe und Halt geben

für alle, die in Schuld geraten sind:
Dass sie um Verzeihung bitten können und sie auch erfahren.

für uns alle, die wir dich suchen und brauchen jeden Tag:
Komm uns nahe in vielerlei Gestalt.

Durch Jesus Christus, der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt, heute und allezeit.
Amen

Suchen und Finden | Nachspiel

2018 hat Max Giesinger das Lied „Zuhause“ veröffentlicht. Von diesem Lied können wir uns noch einmal in die Perpektive desjenigen Sohnes hineinnehmen lassen, der von zuhause weggelaufen ist. Der sich fragt, wo er eigentlich hingehört, und der sich letztlich danach sehnt, irgendwann einmal zufrieden zu sein (beides in der zweiten Strophe). Ein Ziel, das im Grunde beide Brüder aus dem Gleichnis verfolgen – jeder auf seine Weise. Und wir vermutlich auch…

Verständlich bleiben | Sonntag, 13. Juni 2021

Ein „Lichtblick“ nach Gedanken von Pastor Rainer Leo

Mit einem Urlaubserlebnis hat Pastor Rainer Leo seine Predigt heute morgen auf dem Zimmerplatz begonnen. Zusammen mit seiner Frau hat er vor ein paar Tagen die Benediktiner-Abtei Maria Laach in der Eifel besucht. Wer noch nicht dort war, kann in den folgenden 50 Sekunden eine Vorstellung von dem Gotteshaus bekommen.

Und die beiden haben die Anlage nicht nur besichtigt, sondern dort auch einen Gottesdienst besucht: mit gregorianischen Gesängen in lateinischer Sprache. Geheimnisvoll und faszinierend sei das einerseits gewesen – und gleichzeitig doch auch fremd und wie aus einer anderen Welt. Es könnte sich angehört haben wie in dem folgenden Video.

Bei der Beschäftigung mit dem für heute vorgeschlagenen Predigttext habe Rainer Leo dann wieder an dieses Erlebnis denken müssen. Hier schreibt der Apostel Paulus nämlich an die Gemeinde in Korinth (1. Korinther 14, 1ff):

Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber darum, dass ihr prophetisch redet! Denn wer in Zungen redet, der redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott; denn niemand versteht ihn: im Geist redet er Geheimnisse. Wer aber prophetisch redet, der redet zu Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. […] So verhält es sich auch mit leblosen Instrumenten, es sei eine Flöte oder eine Harfe: Wenn sie nicht unterschiedliche Töne von sich geben, wie kann man erkennen, was auf der Flöte oder auf der Harfe gespielt wird? Und wenn die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zur Schlacht rüsten? So auch ihr: Wenn ihr in Zungen redet und nicht mit deutlichen Worten, wie kann man wissen, was gemeint ist? Ihr werdet in den Wind reden.

„Zungenrede“ und „prophetische Rede“ – die beiden Arten zu reden, von denen Paulus hier schreibt, sind uns vermutlich gleichermaßen fremd. Ähnlich fremd wie die lateinischen gregorianischen Gesänge.

Bei der sogenannten „Zungenrede“ beginnt ein Mensch spontan in einer ihm unbekannten Sprache zu sprechen. Fachleute nennen das „Glossolalie“. Dieser Zungenbrecher stammt aus dem Neuen Testament und lässt sich übersetzen mit „Sprachenrede“ oder eben mit „Zungenrede“. Diese begegnet uns nicht nur in der frühen Kirche. Sie ist auch heute noch – oder wieder? – in manchen christlichen Kreisen anzutreffen, besonders in Pfingstkirchen und in der sogenannten charismatischen Bewegung. Letztere heißt so, weil sie sich besonders für die auch in unserem Text erwähnten „Charismen“ interessiert, die „Gaben des heiligen Geistes“. Im Neuen Testament werden verschiedene solcher „Charismen“ genannt, zum Beispiel „Weisheit“ oder „Glaubenskraft“ – und eben auch die „Zungenrede“.

Was hat Paulus nun gegen diese „Zungenrede“? Eigentlich nichts. Im weiteren Text wird sogar deutlich, dass er sie wohl selbst praktiziert hat. Aber in diesem Brief-Abschnitt geht es um die Frage: Welche Art zu reden ist hilfreich für die Gemeinde? Und Paulus stellt fest: die „Zungenrede“ ist eher eine private Angelegenheit und damit weniger für die Öffentlichkeit geeignet.

In den Gottesdiensten christlicher Gemeinden soll immer verständlich geredet werden und nachvollziehbar. Damit aufbauende Gedanken ihren Weg in die Herzen der Gottesdiensbesucher finden. Damit auch Ermahnungen möglich sind. Damit Worte des Trostes nicht ungehört verhallen. Und damit insgesamt nicht einfach nur „in den Wind“ geredet wird.

Aber schwingt in dem Begriff der „prophetischen Rede“, die Paulus andererseits für geignet hält, nicht ein viel zu hoher Anspruch an uns mit? Sagen Propheten nicht die Zukunft voraus? Sind Propheten in der Bibel nicht als ganz besondere und herausragende Menschen beschrieben?

Rainer Leo hat folgendes Bild verwendet: Propheten haben ein Ohr bei Gott und ein anderes auf der Erde. Sie versuchen, Gottes Stimme zu hören, aber gleichzeitig auch auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Und in diesem Sinne hat vielleicht jede und jeder von uns ein wenig Propheten-Potenzial. Rainer Leo hat den Text jedenfalls als Appell an uns betrachtet, unseren christlichen Glauben in zeitgemäßer Sprache und mit zeitgemäßen Formen zu leben.

Nichts gegen die Pflege alter Kulturgüter – die geheimnisvolle Kraft der gregorianischen Choräle soll ruhig hier und da erlebbar bleiben. Aber wir als Christen in Lorsbach sind aufgerufen, bei dem, was wir tun, für alle Lorsbacher verständlich zu bleiben – und dabei immer wieder auch neue Wege der Kommunikation zu wagen.

Dabei kann ruhig jeder seine eigene Stimme finden. Wie auch die Flöte, die Harfe oder die Posaune in einem Orchester unterscheidbar bleiben. Aber insgesamt soll ein einladender Sound unser Gemeindeleben bestimmen. Keine spezialisierten Rituale für einen kleinen Kreis von Eingeweihten, sondern der Versuch, unser Leben zwischen Himmel und Erde nachvollziehbar im Vertrauen auf Gott zu gestalten.

„Vertraut den neuen Wegen“ – der Text zu diesem Lied aus unserem Gesangbuch (EG 395) stammt aus dem Jahr 1989. Ist das schon alt? Oder noch frisch? Die Melodie zu diesem Lied stammt jedenfalls aus dem 16. Jahrhundert – und ist damit definitiv schon ziemlich betagt. Vielleicht war das ein Grund für den Komponisten Manfred Schlenker, den Text im vergangenen Jahr 2020 neu zu vertonen?

Verständlich bleiben | Gebet

Heiliger und ewiger Gott,
du berufst uns.
Du legst uns dein Wort in den Mund.
Öffne unsere Herzen für dich,
damit dein Wort durch uns in die Welt geht.
Stärke deine weltweite Kirche.
Bewahre sie in Verfolgung
und schenke ihr Einheit.
Du bist unser Ursprung und unser Ziel,
du bist die Quelle der Liebe,
du schenkst uns Frieden und Freude
durch Jesus Christus.
In seinem Namen rufen wir zu dir:
Sende deinen Geist aus
und alles wird neu.
Amen.

Verständlich bleiben | Segen

Schon öfter haben wir in den „Lichtblicken“ Lieder von Martin Pepper verwendet. Inzwischen veröffentlicht er jeden Donnerstag und jeden Sonntag ein neues Video auf seinem Youtube-Kanal. Heute sind dort die nachfolgenden Segens-Wünsche erschienen.

Jona | Sonntag, 6. Juni 2021

Ein „Lichtblick“ vom Gottesdienst-Team der Evangelischen Kirchengemeinde

„Von Gott will ich nicht lassen, denn er lässt nicht von mir.“ Den zweiten Teil dieses Choral-Titels (EG 365) hat der Prophet Jona in seiner Biografie ganz deutlich erfahren – vielleicht manchmal sogar deutlicher, als er wollte… Dem ersten Teil konnte er allerdings in verschiedenen Lebensphasen nicht wirklich zustimmen, wie auch der heutige „Lichtblick“ zeigen wird. Hören wir aber zu Beginn ein Vorspiel zu dem genannten Choral aus einer Kirche der niederländischen Gemeinde Waalwijk.

Bevor es nun gleich losgeht mit der Geschichte von Jona, soll noch der Psalm 139 erklingen – genau wie heute morgen auf dem Zimmerplatz. Die poetischen Bilder dieses alten Gebets lassen immer wieder staunen und entfalten ihre Kraft. Egal, ob in einer Lesung oder in der nachfolgenden musikalischen Version.

Im nachfolgenden Text ist der für heute vorgeschlagene Bibelabschnitt aus Jona 1-2 immer wieder fett eingestreut. So erschließt sich die Geschichte nach und nach zusammen mit der Auslegung.

Es geschah das Wort des Herrn zu Jona: Mache dich auf und geh in die große Stadt Ninive und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen. Aber Jona machte sich auf und wollte vor dem Herrn nach Tarsis fliehen.

Vielleicht kennen Sie das auch: Sie haben eine unangenehme Aufgabe vor sich – einen schwierigen Anruf, die Lohnsteuererklärung, das Lernen für eine Prüfung und tun dann alles Mögliche, um diese Aufgabe zu umgehen. So kann man schon mal das ganze Haus auf Hochglanz bringen – und sich dadurch davor drücken, die eigentlich wichtige Prüfungsvorbereitung konkret in Angriff zu nehmen.

Ein ähnliches Verhalten sehen wir in der Geschichte von Jona. Allerdings muss man ihm zugutehalten, dass seine Aufgabe tatsächlich äußerst unangenehm ist. Gott schickt ihn ausgerechnet nach Ninive, in die Hauptstadt der Assyrer. Ninive stand für alles, was einem Israeliten zuwider sein musste. Ninive war das Zentrum der militärischen Großmacht, die immer wieder unsagbares Leid über Israel gebracht hat. Von den Niniviten wird erzählt, dass sie ihre Feinde folterten und ihre Körper an der Außenseite der Stadt aufhängten. Ninive stand für alles, was böse und gottlos war und so gab es in dieser Zeit eine starke Strömung in Israel, für die es ganz wichtig war, zu diesem Volk und zu diesen Menschen Distanz zu halten. Dieser Abstand zu den Gottlosen stärkte gleichzeitig die eigene Identität.

Wir kennen dieses Gefühl auch heute: Es fühlt sich gut an, auf der richtigen Seite zu stehen und sich abzugrenzen von „den Bösen“. Genau für diese Einstellung steht Jona. Vielleicht ahnt er auch schon, dass die Strafen, die er Ninive ankündigen soll, am Ende doch nicht eintreten, weil Gott mal wieder gnädig sein würde. Und wie stünde er dann da? Als falscher Prophet? Und das bei diesen gottlosen Niniviten. Das wäre doch mal wieder ungerecht.

Von daher ist es nachvollziehbar, dass Jona diesen Auftrag nicht nur ignoriert, sondern regelrecht die Flucht ergreift. In Joppe – ungefähr dort, wo heute Tel Aviv ist – besteigt er ein Boot, das ihn exakt in die entgegengesetzte Himmelsrichtung führen soll. Statt nach Osten Richtung Ninive – im heutigen Irak – zu gehen, chartert er ein Schiff Richtung Westen. Nach Tarsis – an die Westküste Spaniens.

Und als er ein Schiff fand, das nach Tarsis fahren wollte, gab er Fährgeld und trat hinein, um mit ihnen nach Tarsis zu fahren, weit weg vom Herrn. Da ließ der Herr einen großen Wind aufs Meer kommen, und es erhob sich ein großes Ungewitter auf dem Meer, dass man meinte, das Schiff würde zerbrechen.

Gott lässt nicht locker. Er schickt einen schweren Sturm, der die Schiffsbesatzung in Todesangst versetzt. Auch vor dem Sturm versucht Jona zu fliehen, indem er sich in den unteren Teil des Schiffes zurückzieht, die Augen schließt und schläft. Einfach nichts sehen und hören.

Und die Schiffsleute fürchteten sich und schrien, ein jeder zu seinem Gott, und warfen die Ladung, die im Schiff war, ins Meer, dass es leichter würde. Aber Jona war hinunter in das Schiff gestiegen, lag und schlief.

Jona schläft. Ein anderer flieht vielleicht vor der Realität, indem er sich betrinkt. Ein anderer stürzt sich in ständige Ablenkung und Arbeit. Es gibt unzählige Möglichkeiten, die Stimme in unserem Inneren zu übertönen und zu betäuben. Jona weiß, was seine Bestimmung ist. Er ist aber nicht in der Lage, sich dieser Wahrheit zu stellen.

Da trat zu ihm der Schiffsherr und sprach zu ihm: „Was schläfst du? Steh auf, rufe deinen Gott an! Vielleicht wird dieser Gott an uns gedenken, dass wir nicht verderben.“ Und einer sprach zum andern: „Kommt, wir wollen losen, dass wir erfahren, um wessentwillen es uns so übel geht.“ Und als sie losten, traf’s Jona. Da sprachen sie zu ihm: „Sage uns, um wessentwillen es uns so übel geht? Was ist dein Gewerbe, und wo kommst du her? Aus welchem Lande bist du, und von welchem Volk bist du?“ Er sprach zu ihnen: „Ich bin ein Hebräer und fürchte den Herrn, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat.

Schließlich wird Jona also geweckt – und per Losverfahren erkennen die Seeleute, dass er der Grund für das Unwetter ist. Spätestens, als er sich den anderen Seeleuten vorstellen muss, wird deutlich, wie absurd die ganze Situation ist. Jona sagt: „Ich bin ein Hebräer und fürchte den Herrn, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat“. Zumindest in der Theorie glaubt er an einen Gott, der jeden Winkel der Wirklichkeit umfasst. Aber gleichzeitig versucht er vor diesem allgegenwärtigen Gott zu fliehen.

Die ganze Situation hat dann fast schon Comedy-Qualität: Derselbe Jona, der sich weigert, ins heidnische Ninive zu gehen, gerät bei seiner Flucht auf ein Schiff voller heidnischer Seeleute, die an fremde Götter glauben. Das Schiff ist ein Miniatur-Ninive. Aber die heidnischen Seeleute legen deutlich mehr Gottesfurcht an den Tag als der „fromme“ Jona.

Da sprachen sie zu ihm: „Was sollen wir denn mit dir tun, dass das Meer stille werde und von uns ablasse?“ Denn das Meer ging immer ungestümer. Er sprach zu ihnen: „Nehmt mich und werft mich ins Meer, so wird das Meer still werden und von euch ablassen. Denn ich weiß, dass um meinetwillen dies große Ungewitter über euch gekommen ist.Doch die Leute ruderten, dass sie wieder ans Land kämen; aber sie konnten nicht, denn das Meer ging immer ungestümer gegen sie an.

Da riefen sie zu dem Herrn und sprachen: „Ach, Herr, lass uns nicht verderben um des Lebens dieses Mannes willen und rechne uns nicht unschuldiges Blut zu; denn du, Herr, tust, wie dir’s gefällt.Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer. Da wurde das Meer still und ließ ab von seinem Wüten. Und die Leute fürchteten den Herrn sehr und brachten dem Herrn Opfer dar und taten Gelübde.

Aber der Herr ließ einen großen Fisch kommen, Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei Nächte. Und der Herr sprach zu dem Fisch, und der spie Jona aus ans Land.

Die Geschichte Gottes mit Jona geht weiter. Jona überlebt. Aber im Bauch des Fisches hat er zuerst einmal eine Todeserfahrung. Er ist von völliger Dunkelheit umgeben. Er hat keinerlei Kontrolle und keine Fluchtmöglichkeit mehr. Und genau diese Situation der Machtlosigkeit ist der Wendepunkt in der Geschichte des Jona.

Was prägt den Lebensweg von uns Menschen? In der Regel nicht irgendwelche großen Erfolge, nicht der Traum-Urlaub oder die letzte Beförderung. Prägend sind oft die Situationen, in denen auf einmal alle Sicherheiten weggebrochen sind. Der Verlust des Arbeitsplatzes. Der Tod eines geliebten Menschen. Endgültig gescheiterte Pläne und Träume. Tiefpunkte, an denen es scheinbar nicht mehr weiterging. Manchmal entdecken wir im Nachhinein, dass solche „Fischbauch-Erfahrungen“ dazu beigetragen haben, unseren ganz persönlichen Weg zu finden.

Es geht in diesem Teil der Geschichte nicht um die Frage, ob es möglich ist, dass ein Mensch drei Tage im Bauch eines großen Fisches überleben kann. Es geht um die Erfahrung, an einem dunklen Ort zu sein, abgeschnitten von allen Fluchtmöglichkeiten und von aller Kontrolle. Wohl kaum jemand würde so einen Ort freiwillig aufsuchen. Aber dieser dunkle Ort der Verzweiflung kann gleichzeitig zu einem Ort der Stille, des Zuhörens und der Verwandlung werden. Die Mystiker nennen diesen Ort die „dunkle Nacht der Seele“. Jona erlebt in der Dunkelheit des Fischbauchs eine solche Verwandlung. Zum ersten Mal in der ganzen Geschichte sucht er den Kontakt zu Gott.

Und Jona betete zu dem Herrn, seinem Gott, im Leibe des Fisches und sprach: „Ich rief zu dem Herrn in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme.“

Im Moment völliger Machtlosigkeit, am Ende aller Fluchtversuche erfährt Jona die Gegenwart Gottes zum ersten Mal nicht als Bedrohung, sondern als liebevollen Trost. In den drei Tagen und Nächten im Bauch des Fisches erlebt er eine Verwandlung, an deren Ende ein Neuanfang steht. Wie bei einer Geburt wird er aus dem Bauch des Fisches herausgeworfen, um sich dann auf den Weg zu machen, zu dem Gott ihn gerufen hat.

Dabei ist die Verwandlung, die im Bauch des Fisches begonnen hat, noch nicht abgeschlossen. Jona nimmt auf seinem Weg nach Ninive viele seiner alten Vorurteile und Widerstände mit. Auch im weiteren Verlauf wird Jona sich selbst und Gottes Auftrag immer wieder im Weg stehen, weil er Gottes Güte gegenüber seinen Feinden nur schwer akzeptieren kann. Aber er macht sich auf den Weg, weil er im Bauch des Fisches entdeckt hat, dass Gottes liebevolle Hand auch bis an die tiefsten Orte hinabreicht – sogar bis in die Tiefen von Jonas eigenem Herzen.

Schritt für Schritt lernt Jona, dass Gottes Herz größer ist als seine engen Vorstellungen und Abgrenzungen. Mit Hartnäckigkeit und Humor spricht Gott immer wieder zum widerwilligen Jona, dem es schwerfällt, seine inneren Grenzen und Widerstände zu überwinden und ein Bote zu sein für Gottes grenzenlose und leidenschaftliche Liebe zu allen Menschen.

Gott spricht zu Jona durch den Sturm, er benutzt heidnische Seeleute, den dunklen Bauch eines Fisches und die Erfahrung des völligen Scheiterns, um diese Botschaft zu vermitteln und das Herz des Jona zu weiten.

Wie bei Jona spricht Gott auch zu uns – durch die leise Herzensstimme, durch andere Menschen, durch Lebensstürme und manchmal auch durch die dunkle Nacht der Seele. Er spricht auch heute in Situationen hinein, in denen wir auf der Flucht sind vor ihm und vor uns selbst und in denen wir unbarmherzig auf andere Menschen herabschauen. In allem, was geschieht, ruft er uns wie Jona zurück zu unserer Bestimmung: Dass wir immer mehr zu weitherzigen und liebenden Menschen werden, die etwas von Gottes großer Menschen­freundlichkeit widerspiegeln.

Amen.

„Von Gott will ich nicht lassen, denn er lässt nicht von mir, führt mich durch alle Straßen, da ich sonst irrte sehr. Er reicht mir seine Hand; den Abend und den Morgen tut er mich wohl versorgen, wo ich auch sei im Land.“ Hören wir diese und weitere Strophen des Chorals EG 365 in einer ganz aktuellen Aufnahme aus Berlin.

Wer wissen möchte, wie die Geschichte mit Jona weitergeht, kann dies übrigens auch mittels eines kotenlosen Online-Computerspiels tun. Beim Klick auf das nachfolgende Bild öffnet sich eine neue Seite mit dem Spiel.

Jona | Gebet

Dein Wort, Ewiger Gott, verwandelt die Welt.
Du sprichst und Neues wird.
Erbarme dich und sprich heute zu uns.

Sprich dein heilendes Wort, Lebendiger Herr, zu den Kranken,
zu denen, die von Angst beherrscht werden,
zu den Müden und Erschöpften.
Dein Wort und dein Atem schenken Leben.

Sprich dein tröstendes Wort, Liebender Vater, zu den Trauernden,
zu denen, die ihr Vertrauen verloren haben,
zu den Enttäuschten und Verlassenen.
Dein Wort und deine Liebe schenken Leben.

Sprich dein mächtiges Wort, Gerechter Gott, zu den Machthabern,
zu denen, die Gefängnistüren öffnen oder schließen,
zu den Kriegsherren und Befehlshabern.
Dein Wort und deine Gerechtigkeit schenken Leben.

Sprich dein Mut machendes Wort, Gütiger Herr, zu unseren Kindern,
zu denen, die sich zu dir bekennen,
zu deiner Kirche und allen, die dich suchen.
Dein Wort und dein Geist schenken Leben.

Erbarme dich, du dreieiner Gott,
auf dich hoffen wir,
dir vertrauen wir,
deinem Wort glauben wir.
Sprich heute und alle Tage zu uns.
Amen.

Jona | Nachspiel

Als Nachspiel noch einmal „Von Gott will ich nicht lassen“. Wer die „Lorsbacher Lichtblicke“ schon eine Weile verfolgt, kennt das Duo „SacreFleur“ bereits. Es hat seine ganz eigene Art, die alten Melodien neu aufleben zu lassen.

Trinitatis | Sonntag, 30. Mai 2021

Ein „Lichtblick“ nach Gedanken von Rolf Wiedemann

Das kurze Lied, das den heutigen „Lichtblick“ eröffnet, haben wir schon öfter als Glaubensbekenntnis in unseren Gottesdiensten gesungen. Hier ist es in einer vierstimmigen a-cappella-Version:

Egal, in welchem Wortlaut wir unseren Glauben bekennen: Immer geht es dabei um Gott als Vater, als Sohn und als Heiliger Geist – immer geht es daei also auch um das Geheimnis der Dreieinigkeit, der Dreifaltigkeit oder eben lateinisch gesagt um das Geheimnis von „Trinitatis“. So heißt das Fest, das die Christenheit traditionell am Sontnag nach Pfingsten feiert. Wie wir heute.

Wie kann man diese Dreieinigkeit Gottes erklären? Das ist nicht ganz einfach. Viele Theologinnen und Theologen haben sich im Lauf der Jahrhunderte schon daran abgearbeitet. Weihbischof Ansgar Puff aus Köln nennt allerdings eine andere, eher ungewöhnliche Quelle für seine „Trinitatis-Erkenntnis“:

In dem für heute vorgeschlagenen Predigttext (Johannes 3, 1-8) geht es um ein weiteres schwer verständliches Thema: um die sogenannte „Wiedergeburt“.

Nikodemus, ein hochrangiger Vertreter der Pharisäer, macht sich „bei Nacht und Nebel“ auf, um Jesus persönlich zu treffen. Sagen wir mal: Bischof trifft Revoluzer. Der Bischof ist verunsichert und hat Fragen. Was meint Jesus, wenn er von einer neuen Geburt redet? Neu geboren werden als in die Jahre gekommener Mensch? Das geht doch nicht. Es gibt doch nur dieses eine Leben – oder?

„Alles auf Anfang“, das wäre vermutlich auch nicht nur für Nikodemus eine zwiespältige Vorstellung. Will ich wirklich noch einmal von vorne anfangen und alles durchleben und vielleicht auch durchleiden, was ich schon hinter mir habe? Was ist mit all den Erfahrungen, die ich gemacht habe und von denen ich ja auch profitiere? Andererseits böte sich natürlich die Chance, Fehler zu vermeiden und stattdessen bessere Entscheidungen zu treffen.

Aber Jesus will nicht auf einen körperlichen Neubeginn des Lebens hinaus. Es geht nicht einfach um eine zweite Chance. Er sagt: Du musst neu geboren werden „aus Wasser und Geist“. Du wirst äußerlich derselbe bleiben, aber du musst von innen heraus neu geschaffen werden. Wie kann das gehen?

Vor einer Woche haben wir Pfingsten gefeiert: Gott hat uns Menschen seinen Geist geschickt. Er ist schon da. Er tröstet, bildet, liebt, versöhnt und macht kreativ. Er ist ein Vorbote der himmlischen Welt. Er verbindet uns in einer großen, fröhlichen und auf diese himmlische Welt ausgerichteten solidarischen Gemeinschaft. Er schafft wortwörtlich „Be-geisterung“. Er stiftet neues Leben in unserem bisherigen Dasein.

Das ist im Alltag nicht immer ganz einfach. Denn die himmlische Welt und die irdische Welt, in der wir leben, passen nicht immer gut zusammen. Und das, wozu uns der Geist Gottes herausfordert, kann manchmal auch unangenehm und unbequem sein. Da muss ich vielleicht auch mal raus aus meiner Komfortzone. Weil mein Nächster mich braucht. Oder weil ich merke, dass mein Komfort zu Lasten von anderen geht: von Arbeitern, die in Bangladesch unter hochgefährlichen Bedingungen meine Textilien färben; von Kaffeepflückerinnen, die für einen Hungerlohn schuften – oder zu Lasten der jüngeren Generation, die den Klimawandel noch viel deutlicher zu spüren bekommen wird als wir.

Nikodemus scheint geahnt zu haben, dass Jesu Rede von der neuen Geburt irgendwie existenziell ist. Deshalb möchte er mit Jesus direkt darüber sprechen – aber erst nachdem es schon dunkel geworden ist. Er will nicht, dass ihn jemand dabei sieht. Er ist verschämt, unsicher und allein. Aber er will dieser Sache auf den Grund gehen…

Der Musiker und Liedermacher Jonannes Nitsch, der 2002 im Alter von 49 Jahren verstorben ist, hat ein eindrückliches Lied über die Begegnung von Nikodemus und Jesus geschrieben. Zu seinem 10. Todestag sind einige seiner Lieder noch einmal neu eingespielt worden, so auch das Lied „Nikodemus“:

So kommen die beiden Rätsel des heutigen Sonntags im Refrain des Liedes, der auch der zentrale Vers unseres Predigttextes ist, zusammen – das von Trinitatis und das von der Wiedergeburt:

Gott will eine Beziehung mit uns. Diese Welt – und damit auch wir als einzelne Menschen – ist ihm so viel wert, dass er einen Teil von sich selbst – verkörpert in seiem Sohn Jesus – den irdischen Tod hat sterben lassen. Dann hat er ihn aber von den Toten auferweckt, um zu zeigen: es gibt eine himmlische Kraft, die die irdischen Gesetzmäßigkeiten überwinden kann. Und er hat uns seinen Geist gegeben, der die neue himmlische Welt schon einmal langsam in uns heranwachsen lassen kann – wenn wir das zulassen.

Trinitatis | Gebet

Dreieiniger Gott,
du hast uns das Leben gegeben,
du willst unser Glück,
du lässt uns aufatmen.

Wir gehören zu dir.
Wir sind deine Geschöpfe.
So bitten wir dich
um Lebenskraft für deine Schöpfung.
Wir bitten für die Kranken –
in unserer Nachbarschaft und in der Ferne.
Wir bitten für die Trauernden –
du kennst ihre Namen.
Schöpfergott – wir bitten für die Erschöpften.
Erbarme dich.

Wir gehören zu dir.
Du rettest und bringst Frieden.
So bitten wir dich
um Versöhnung in deiner Schöpfung.
Wir bitten für die, die einander Feind sind –
unter den Völkern, in unserer Gesellschaft,
in unserer Mitte.
Wir bitten für die, die nach Rettung schreien –
in Gefängnissen, Folterkellern, auf der Flucht.
Erlöser Jesus Christus – wir bitten für die Friedlosen.
Erbarme dich.

Wir gehören zu dir.
Du schenkst uns neuen Atem.
So bitten wir dich
um Hoffnung für deine Schöpfung.
Wir bitten für die Suchenden –
die Ratlosen und die Wütenden.
Wir bitten für die, die enttäuscht sind –
von anderen Menschen,
vom Glauben und der Kirche.
Gott, Heiliger Geist – wir bitten für die Sehnsuchtsvollen.
Erbarme dich.

DreieinigerGott,
schenke uns deinen Atem,
deine Liebe und deinen Frieden
heute und alle Tage.
Amen.

Trinitatis | Nachspiel

„Ehr‘ sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist…“ So hören und singen wir oft in unseren Gottesdiensten. Der immer noch zu wenig bekannte romantische Komponist Heinrich von Herzogenberg hat diese Worte in einem kurzen vierstimmigen Chorsatz vertont:

Pfingsten | Sonntag, 23. Mai 2021

Ein „Lichtblick“ von Pfarrerin Kerstin Heinrich

Frisch eingespielt zum diesjährigen Pfingstfest, eröffnet eine faszinierende Orgel-Improvisation unseren heutigen „Lichtblick“. Marius Branscheidt, Kirchenmusiker aus Rendsburg, hat sie in der dortigen Christuskirche produziert.

Haben Sie schon mal etwas von Ludwik Lejzer Zamenhof gehört? Er lebte von 1859 bis 1917 in Polen, das damals zum Russischen Kaiserreich gehörte, und war ein jüdischer Augenarzt. Schon als Kind interessierte sich Zamenhof für Fremdsprachen. Die bevorzugte Sprache des Vaters war Russisch, die der Mutter Jiddisch, auf der Straße dürfte er Polnisch gelernt haben. Wohl früh lernte er Deutsch und Französisch kennen, in der Schule dann Griechisch, Latein und Englisch.

Vielleicht kam ihm deshalb schon zu seiner Schulzeit der idealistische Gedanke, dass eine neutrale Sprache notwendig sei, um Ghettobildung und Rassismus zu verhindern. Und das dies letztlich auch ein Schlüssel zum Weltfrieden wäre. Diese neue Sprache müsse so leicht sein, dass sie von jedem spielend zu erlernen sei. Und so entwickelte er die Weltsprache Esperanto, die auch schnell Anhänger fand.

1908 wurde der Esperanto-Weltbund gegründet. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges gab es Verbände oder zumindest Ortsgruppen auf allen Kontinenten. Sowohl im Nazideutschland als auch in Russland unter Stalin wurde die Sprache allerdings verboten. Ihre Anhänger wurden verfolgt und in Lager gesperrt, viele wurden getötet. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der Landesverbände im Weltbund stetig an und 1953 fand in Deutschland der erste Esperanto-Kongress nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankfurt am Main statt.

Wie klingt Esperanto? Hier ein kleines Beispiel aus dem Jahr 2017:

Insgesamt konnte sich Zamenhofs Erfindung allerdings bislang nicht durchsetzen. Die Zahl der Menschen, die sich in den Esperanto-Verbänden zusammenfanden, sank nach und nach wieder. 2016 befand sie sich auf dem niedrigsten Stand seit 1947. Heute ist diese Sprache fast in Vergessenheit geraten.

Nicht in Vergessenheit geraten ist der Grundgedanke von Zamenhof, dass eine gelingende Verständigung zwischen Menschen der Schlüssel für den Frieden ist. Doch wie schwer ist dies zu erreichen. Die unzähligen Konflikte zwischen Menschen, Religionen, Ländern zeugen davon.

Einerseits war es noch nie so einfach wie in unserer Zeit miteinander zu reden und etwas über andere zu erfahren. Radio, Fernsehen, Telefon und Internet stehen uns zur Verfügung. Es haben sich in den letzten Jahren völlig neuartige Formen von Kommunikation entwickelt. Wenn ich eine Vierzehnjährige dabei beobachte, mit welcher Leichtigkeit sie die Buchstaben in ihr Handy eingibt, dann frage ich mich manchmal: Wie hat es eigentlich meine Generation in diesem Alter geschafft, miteinander im Kontakt zu bleiben – ohne Handy?

Menschen haben unzählige Freunde in den sozialen Medien. Noch nie gab es eine solche Vielfalt von Kommunikationsmitteln, um uns einander näher zu bringen und unsere Verständigung zu fördern. Andererseits sehen und erleben wir es fast jeden Tag, ob in unserem persönlichen Umfeld oder in der Politik: Es gibt kaum ein Unterfangen, das mit so großen Hoffnungen und Erwartungen begonnen wird und das mit einer solchen Regelmäßigkeit fehlschlägt wie die Verständigung. Und damit einher gehen Wut, Enttäuschung und Ratlosigkeit.

Es ist kein Wunder, dass das Buch der Sprachforscherin Deborah Tannen nicht nur in den USA, sondern auch bei uns auf der Bestsellerliste stand. Sein Titel lautet: „Du kannst mich einfach nicht verstehen. Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden.“ Warum ist es so schwer ist, sich untereinander zu verständigen? Warum scheitern Verständigungsversuche mit solcher Regelmäßigkeit? Warum scheitern die Versuche von zwei Menschen miteinander auszukommen und Verständnis füreinander zu entwickeln? Warum scheitern die Versuche zweier Völker oder der Anhänger verschiedener Religionen sich zu verständigen? Warum scheint es so oft unmöglich, eine Sprache miteinander zu finden? Woran liegt das? Warum ist die Entwicklung der Verständigung nicht ebenso fruchtbar wie die Entwicklung der Verständigungs- und Kommunikationsmittel?

Vor sehr langer Zeit hat es schon einmal eine Antwort auf all diese vielen Warums gegeben. Diese Antwort steht ganz am Anfang der Bibel. Es ist eine Geschichte, die in die mythologische Zeit hineinreicht, die sozusagen vor Beginn der Zeit stattgefunden hat. Es ist die Geschichte vom Turmbau zu Babel. Sie ist nachzulesen in 1. Mose 11, 1-9 (ein Klick auf den Link öffnet den Text in einem neuen Fenster). Sie kann aber auch optisch nachvollzogen werden – in einem Meisterwerk der Malerei:

Die Menschen hatten beschlossen, sich einen Namen machen zu wollen. Etwas ganz Großes tun, etwas Unerhörtes, noch nie Dagewesenes, etwas Herausragendes und so Einmaliges, dass es nie wieder vergessen würde und für immer in die Erinnerung der Menschheit eingehen würde. Sie wollten unsterblich werden. Unsterbliche Helden. So macht man sich einen Namen! Ein Turm sollte entstehen, der bis in den Himmel hinaufreicht. Ein wirklich herausragendes Vorhaben.

Jedoch war Gott damit nicht einverstanden und verwirrte die Sprachen der Menschen. Er brachte einfach all die Versuche der Beteiligten, sich verständigen zu wollen zum Scheitern. Damit wurden die Pläne zunichtegemacht.

Natürlich will diese Geschichte keine historischen Begebenheiten aufzeigen. Sie versucht eine Antwort auf die Frage, warum Menschen es so schwer haben, sich zu verstehen.

Die Geschichte vom Turmbau ist wunderschön in ihrer Anschaulichkeit. Sie sagt mit Worten und vor allem eben auch mit Bildern: Der Mensch will zu hoch hinaus! Immer größer, immer höher, immer bedeutender soll es sein, was er erreicht. Er will sich selbst ein Denkmal setzen und kreist dabei unablässig um sich selbst. Dabei verliert er jedoch den Boden unter den Füßen. Er vergisst, was sein Leben trägt. Und er verliert dabei sich selbst.

Er ist nicht mehr in der Lage, sich selbst zu verstehen – geschweige denn den neben ihm. Wenn ich nur noch mich selbst im Blick habe, nur noch das Ziel, das ich unbedingt erreichen will, kann ich den anderen und seine Bedürfnisse gar nicht mehr wahrnehmen. Das ist die Grundproblematik aller Verständigung.

Die Bibel weiß um diese Schwierigkeiten des Menschen. Sie zeichnet ein sehr realistisches Bild über den Menschen. Wenn wir auf die vielen Konflikte in der Welt blicken oder auch nur in unserem eigenen Land oder Haus dann sehen wir: Wenn nur noch die eigenen Interessen verfolgt werden, kommt es unweigerlich zu einer babylonischen Sprachverwirrung – die Menschen reden aneinander vorbei.

An den vielen Auseinandersetzungen rund um die Coronapandemie und den vielen Streits, wie denn nun die richtigen Maßnahmen auszusehen hätten, konnte und kann man das gut verfolgen. Und wie viel schwieriger ist das bei Konflikten zwischen Völkern: Denken wir nur an den Krieg zwischen Israelis und Palästinensern, der gerade wieder so dramatisch aufgeflammt ist: Sie können sich einfach nicht verstehen – und eine Lösung ist nicht in Sicht. Ein unausweichliches Schicksal also? Sollen wir resignieren und alle Verständigungsversuche aufgeben?

Auch wenn wir manchmal aufgeben – Gott gibt uns nicht auf. Er kann grundsätzliches bewegen und verändern. Und er hat es ja auch tatsächlich getan. Es gab ein weiteres Ereignis, das von so einschneidender Bedeutung war, dass wir noch heute davon profitieren. Und es feiern, jedes Jahr an Pfingsten (vgl. Apostelgeschichte 2).

Damals hat es auf einmal perfekt geklappt mit der Verständigung. Aus aller Herren Länder waren Menschen zum jüdischen Schawuot-Fest in Jerusalem zusammengekommen. Sie haben ganz unterschiedliche Sprache gesprochen. Und auf einmal haben sich trotzdem alle gegenseitig verstanden. Gott hat eingegriffen. Er hat seinen Heiligen Geist über ihnen ausgeschüttet.

Dieses Ereignis war von so herausragender Bedeutung, dass die Geschichte darüber als die Gegenpolgeschichte zur Turmbaugeschichte betrachtet werden kann. Ihre Wirkung war nicht geringer. Sie hat Kirche begründet. Sie hat seitdem Menschen immer wieder geholfen, Verständigung untereinander und zwischen Menschen ganz unterschiedlicher kultureller Herkunft entstehen zu lassen.

Gott schickt uns seinen Geist und hilft uns so, miteinander und auch mit ihm in Verbindung zu bleiben. Durch das Pfingstereignis ist es möglich geworden zu verstehen, was Gott uns sein will. Nämlich das Zentrum unseres Lebens. Er will unsere Mitte sein und uns dadurch groß sein lassen. Nicht wir selbst müssen hoch hinaus und Großes bewirken. Wir sind groß, weil wir wert geschätzt sind in Gottes Augen.

Wenn wir unser Leben auf Gott bauen, brauchen wir keine Türme zu errichten und uns keine Denkmäler zu setzen. Und wir können in unseren Mitmenschen die erkennen, die genauso von Gott geliebt sind wie wir auch. Auf diese Weise schenkt Gott uns Verständigung: mit uns selbst, mit den Menschen neben mir und auch mit Gott selbst.

Das ist ein so großartiges Ereignis, dass es wie ein Sturmwind das Leben durchbraust und alle Ecken und Winkel durchfegt. Oder es ist wie eine Feuersbrunst, die alte Schlacken verbrennt und neue Formen einbrennt. Es ist ein so herausragendes Ereignis, das es nur in Bildern beschrieben werden kann, weil es keine abstrakten Worte gibt, die es gut genug beschreiben könnten.

Es ist Pfingsten, das Fest aller Verständigung, das Fest des Geistes, des Heiligen Geistes! Dieses Fest zu feiern ist wichtig, denn es zeigt uns: Verständigung ist möglich, wenn wir uns von Gottes Geist bewegen und durchwehen lassen.

Amen.

Der Pastoralreferent und Schulseelsorger Bernhard Kozikowski aus Geilenkirchen (Nordrhein-Westfalen) hat vor einem Jahr ein vollständig selbst produziertes „Pfingstlied“ bei Youtube hochgeladen. Es ist erfrischend, direkt und etwas ungehobelt – und passt zu den Gedanken dieses „Lichtblicks“.

Pfingsten | Gebet

Heiliger Geist,
du machst lebendig, was am Boden liegt,
du hebst aus dem Staub, die verzweifelt sind,
du tröstest die Traurigen,
du schenkst einen neuen Atem.

Komm, Heiliger Geist,
erfülle mit deinem Wehen deine Kirche,
wecke deine Gemeinde auf, hier und auf der ganzen Erde,
schenke uns Zuversicht und Hoffnung,
lass uns feiern das Glück des Glaubens.

Komm, Heiliger Geist,
befreie uns Menschen aus der Sprachlosigkeit,
löse uns aus der Sprachverwirrung,
lass uns einander verstehen
über die Grenzen der Länder, Kulturen, Religionen hinweg.

Komm, Heiliger Geist,
mit Angst und Schmerz denken wir an Menschen in Not,
in den Kriegsgebieten, bedroht von Hass und Gewalt,
in Sorge um Leib und Leben, um Arbeit und Zukunft.
Lass uns erkennen: Wir sind eine Menschheit.

Komm, Heiliger Geist,
und bleibe bei uns,
gib uns die Kraft, das Unsere zu tun,
gib uns die Weisheit, unsere Grenzen zu erkennen,
gib uns den rechten Glauben,
heute und alle Tage unseres Lebens.

Amen.

Pfingsten | Nachspiel

Zum Ende noch einmal das Pfingstlied vom Anfang – aber in einer ganz anderen Fassung aus der Freien evangelischen Gemeinde Dresden.

Schaut hin! | Sonntag, 16. Mai 2021

Ein „Lichtblick“ mit Gedanken von Pastor Uwe Saßnowski

Heute wurde der Gottesdienst auf dem Lorsbacher Zimmerplatz von Uwe Saßnowski geleitet. Er ist Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche in Frankfurt, die ihre Heimat in der Christuskirche am Merianplatz hat.

„Schaut hin!“ So lautet das Motto des 3. Ökumenischen Kirchentags, der heute in Frankfurt zu Ende geht. Dieses Motto ist der Geschichte von der Speisung der 5.000 entnommen. Dort ermutigt Jesus seine Jünger: „Geht noch einmal hin und schaut nach, was ihr habt!“ (Markus 6, 38). Wir wissen: Die Jünger fanden damals fünf Brote und zwei Fische – und auf wundersame Weise wurden alle davon satt.

Was für ein schönes Bild, das man hier für den Ökumenischen Kirchentag gefunden hat: Schaut hin! Schaut nach, was ihr habt! Schaut nach, was ihr den Menschen anbieten könnt, damit sie auf wunderbare Weise satt werden können. Der folgende Song zum Ökumenischen Kirchentag atmet genau diese Botschaft.

Eine Bitte aus dem für heute vorgeschlagenen Predigttext passt sehr gut zu diesem Motto: „Herr, öffne mir die Augen, dass ich sehe – dass ich schaue die Wunder deiner Weisung“ (Psalm 119, 18). In vielen Übersetzungen lesen wir an dieser Stelle „die Wunder, die dein Gesetz enthält“. Doch es geht hier nicht nur um die 10 Gebote oder um die 613 weiteren Gesetze, die in den 5 Büchern Mose enthalten sind. Es geht auch um die vielen Geschichten Gottes mit den Menschen – von der Schöpfung bis zum Einzug ins gelobte Land.

Vielleicht dachte der Beter des Psalms an die Rettung Noahs und an das Versprechen Gottes, dass die Erde nie mehr untergehen darf im Hass oder im Zorn. An Abraham und seinen Aufbruch ins verheißene Land. An Mose, den Befreier, der den Bund Gottes mit Israel geschlossen hat. An Josua, der das Volk ins gelobte Land hineingeführt hat und vielleicht auch an König David, dem einmal der Messias auf seinem Thron folgen würde. Für diese Geschichte Gottes von der Verheißung bis zur Erfüllung möchte der Beter des Psalms sich die Augen öffnen lassen. Dafür, wie Gott die Menschen durch all diese Zeiten hindurch begleitet und angeleitet und zu ihrem Ziel gebracht hat.

Sie kennen vermutlich die Redensart, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Kennen wir manchmal in Umkehrung dieses Spruchs vor lauter Bibel die vielen Geschichten Gottes mit den Menschen nicht mehr? Sind sie in unserem Bewusstsein genauso eingestaubt wie das dicke Buch zuhause im Regal? Irgendwie vorhanden, aber nicht wirklich in uns lebendig?

Vielleicht tut es uns gut, in die Bitte des Psalms einzustimmen: „Herr, öffne mir die Augen, dass ich sehe!“ Öffne mir die Augen für die Geschichten Gottes mit uns Menschen. Und dann könnten wir doch wieder mal eine solche Geschichte lesen und auf uns wirken lassen. Es könnte sein, dass wir dann ein Wunder erleben: das Wunder der Zuwendung Gottes zu uns in seinem Wort.

Der Apostel Paulus greift die alte Bitte aus dem Psalm in seinem Brief an die Epheser auf: „Gott erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr erkennt, was für eine Hoffnung Gott euch gegeben hat, als er euch berief, und was für ein reiches und wunderbares Erbe er er für die bereithält, die zu seinem heiligen Volk gehören“ (Epheser 1, 18).

In Jesus finden die vielen Geschichten Gottes mit uns Menschen ihr Zentrum. Und in ihm gründet sich auch unsere Hoffnung. Die Hoffnung, dass Gottes Liebe unser Leben zum Guten verändern kann – und dass sie sogar unsere Welt retten kann.

In Jesus gründet sich auch unser Reichtum. Zum Beispiel der Reichtum einer vielfältigen Gemeinschaft unterschiedlichster Menschen. Jesus ist ja auf alle zugegangen: Frauen, Männer, Kinder; Gesunde und Kranke; Bescheidene und Überhebliche; Fromme, Exzentriker und Schuldig-Gewordene. Alle hat er aufgesucht, eingeladen und mitgenommen – sogar Sie und mich.

In diesem Sinne war Frankfurt ein wunderbarer Ort für den Ökumenischen Kirchentag. Hier gibt es die bunteste Ökumene in ganz Deutschland. In keiner anderen Stadt gibt es so viele unterschiedliche christliche Gemeinschaften wie in Frankfurt. Diese Vielfalt von Lebens- und Glaubensgeschichten ist ein Reichtum der besonderen Art.

Es mag manchmal so aussehen, als ob all unsere Bemühungen, Leben zu retten, die Schöpfung zu bewahren, Frieden zu schaffen, Ungerechtigkeit zu überwinden und uns zu versöhnen, nicht zum Ziel führen. Sondern dass immer wieder Hass auflodert, Geiz geil ist und das Böse siegt.

Aber wir haben es an Ostern gefeiert: Gott selbst hat dem Tod und allem Zerstörerischen die Grenzen aufgezeigt. Lassen Sie uns deshalb hinschauen auf das, was wir haben. „Schaut hin!“ Auf die Geschichten Gottes mit den Menschen. Auf Jesus, der uns Hoffnung schenkt und der uns reich macht, der Gemeinschaft stiftet. Wenn wir das immer wieder miteinander teilen – in der Nachbarschaft, in der Gemeinde und in der Ökumene – dann werden wir und alle Menschen satt.

Schaut hin! | Gebet

Jesus Christus,
wir kommen zu dir.
Du stillst unseren Durst nach Leben.
Komm und sende deinen Geist aus.
Erbarme dich.

Komm und sende deinen Geist,
damit Frieden wird
in Israel,
im Heiligen Land,
in deiner Stadt Jerusalem.
Verwandele die Herzen der Menschen
und erneuere diese Welt.
Du bist die Quelle des Friedens –
erbarme dich.

Komm und sende deinen Geist,
damit Gerechtigkeit wächst
für die Geschwächten,
für die Übersehenen,
zwischen den Generationen,
zwischen den Gesunden und den Kranken.
Verwandele die Meinungen der Menschen übereinander
und erneuere unser Zusammenleben.
Du bist die Quelle der Gerechtigkeit –
erbarme dich.

Komm und sende deinen Geist,
damit der Glaube auflebt
in deiner weltweiten Kirche,
in unseren Gemeinden,
bei den Teilnehmenden des Ökumenischen Kirchentags,
bei unseren Kindern.
Du bist die Quelle des Lebens –
erbarme dich
heute und alle Tage.
Amen.

Schaut hin! | Nachspiel

Als Nachspiel folgt noch ein weiteres Lied, das für den Ökumenischen Kirchentag produziert wurde.

Betend hören und handeln | Sonntag, 9. Mai 2021

Ein „Lichtblick“ nach Gedanken von Pastor Rainer Leo

Rogate – betet! So heißt der heutige Sonntag. Und im Wochenspruch, der zu Beginn unseres Gottesdienstes auf dem Zimmerplatz verlesen wurde, will der Beter des 66. Psalms die Zuversicht vermitteln, dass wir mit unseren Gebeten bei Gott Gehör finden: „Gelobt sei der Herr, der mein Gebet nicht verwirft“ (Psalm 66,20).

Aber Hand aufs Herz: Beschleichen uns nicht manchmal doch Zweifel, ob beten wirklich etwas nützt? Ob dieser große Gott, der für uns leider so schwer fassbar ist, tatsächlich auf unsere kleinen Gebete hört? Auch die Musikerinnen und Musiker, die das folgende Video aufgenommen haben, stellen sich diese Frage.

Jesus selbst hat diese Frage, ob Gott unsere Gebete wohl hört, mit einer Geschichte beantwortet. Wir haben sie heute als Schriftlesung zu hören bekommen (Lukas 11, 5-13):

„Stellt euch vor: Einer von euch hat einen Freund. Mitten in der Nacht geht er zu ihm und sagt: ›Mein Freund, leih mir doch drei Brote! Ein Freund hat auf seiner Reise bei mir haltgemacht. Ich habe nichts im Haus, was ich ihm anbieten kann.‹ Aber von drinnen kommt die Antwort: ›Lass mich in Ruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder liegen bei mir im Bett. Ich kann jetzt nicht aufstehen und dir etwas geben.‹ Das sage ich euch: Schließlich wird er doch aufstehen und ihm geben, was er braucht – wenn schon nicht aus Freundschaft, dann doch wegen seiner Unverschämtheit.“

Und dann sagt Jesus die berühmten Worte: „Bittet und es wird euch gegeben! Sucht und ihr werdet finden! Klopft an und es wird euch aufgemacht! Denn wer bittet, der bekommt. Und wer sucht, der findet. Und wer anklopft, dem wird aufgemacht. Welcher Vater unter euch gibt seinem Kind eine Schlange, wenn es um einen Fisch bittet? Oder einen Skorpion, wenn es um ein Ei bittet? Ihr Menschen seid böse. Trotzdem wisst ihr, was euren Kindern guttut, und gebt es ihnen. Wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn darum bitten.“

Vor dem Hintergrund dieses Textes hat Pastor Rainer Leo uns Mut gemacht, das Gespräch mit Gott immer wieder zu suchen. Allerdings nicht mit der Erwartung, dass unsere Gebete immer erhört werden. Dass also jeweils genau das eintritt, was wir von Gott erbitten. Sondern zunächst einmal im Vertrauen darauf, dass er hört. Dass Gott uns und unser Gebet also jedenfalls wahrnimmt.

Und genau so wie Gott uns zuhört, könnten auch wir immer wieder einmal „Hörpausen“ in unsere Gebete einbauen. Momente des Innehaltens. Vielleicht kommt uns dabei eine gute Idee? Vielleicht wandern unsere Gedanken in eine völlig unerwartete Richtung, die das Thema unseres Gebets in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt? Die Zuversicht, dass Gott uns hört, könnte auch unsererseits eine neue Hörbereitschaft zur Folge haben.

Aus dem eigentlichen Predigttext hat Pastor Leo dann noch zwei Gedanken herausgegriffen. Der Text ist eine Aufforderung des Apostels Paulus an seinen Mitarbeiter Timotheus (1. Timotheus 2,1-6): „Zuerst und vor allem bitte ich euch, im Gebet für alle Menschen einzutreten: Bringt eure Wünsche, Fürbitten und euren Dank für sie vor Gott. Betet auch für die Könige und alle übrigen Machthaber. Denn wir wollen ein ruhiges und stilles Leben führen – in ungehinderter Ausübung unseres Glaubens und in Würde. So ist es recht und gefällt Gott, unserem Retter. Er will ja, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.“

In Anknüpfung an den letzten Vers hat Pastor Leo zunächst über das Bewusstsein für das große Ganze gesprochen, über das Ziel der Arbeit von Paulus und Timotheus – und letztlich auch über das Ziel unseres Lebens als Christen: Gott möchte, dass alle Menschen ein mit ihm versöhntes und darum sinnerfülltes Leben führen können. Dieses Ziel gilt es im Auge zu behalten. Und das kann auch bedeuten, sich für unser Gemeinwesen zu engagieren – zum Beispiel im Gebet: „Betet für die Machthaber“ schreibt Paulus. Wie kann das aussehen? Bestimmt nicht immer nur so, dass wir Gott bitten, dass die Machthaber endlich mal das tun, was wir für richtig halten. Sondern vielleicht auch hier wieder mit dem Einsatz von „Hörpausen“ – in denen mir dann vielleicht auch deutlich werden kann, wo mein Handeln gefragt ist, wo ich etwas beitragen kann.

Dass Gebet ganz vielfältige Formen annehmen kann, hat Pastor Leo zum Schluss mit einem Ausschnitt aus Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ deutlich gemacht:

Während des Dreißigjährigen Kriegs bedrohen feindliche Truppen die noch schlafende Stadt Halle. Auf einem Bauernhof vor den Toren der Stadt befinden sich auch Mutter Courage und ihre stumme Tochter Kattrin . Die Bauersleute sorgen sich um die bedrohte Stadt, glauben aber, nichts unternehmen zu können. Deshalb beten sie. Und sie fordern auch Kattrin auf, zu beten. Aber sie kann das nicht, sie ist ja stumm. Kattrin tut allerdings etwas anderes: Sie klettert auf das Dach des Stalls und trommelt. Sie trommelt wie eine Besessene die Stadt wach, um sie vor den feindlichen Truppen zu warnen. So gewarnt, mobilisieren die Hallenser ihre Verteidigung und die Stadt wird gerettet.

Mit dieser Szene will Brecht zeigen, dass Beten notwendiges Handeln nicht ersetzen kann. Aber Beten muss Handeln ja nicht unbedingt ersetzen. Es kann auch ein Auslöser für mein Handeln sein und es begleiten. Insofern ist das Trommeln der Kattrin dann doch wieder ganz eng verbunden mit dem Gebet.

Die Mainzer Theologin Ursula Balz-Otto schreibt dazu: „Jesus wollte, dass Menschen so beten. So wie er es in den Bitten des Vaterunsers als große Hoffnung ausdrückt; allumfassend in der Bitte Dein Reich komme. Wer so betet, findet sich nicht ab mit der Welt, wie sie ist. Gott handelt nicht nur von oben, sondern er braucht unsere Hände, unsere Augen, unsere Ohren. Beten ist Nachdenken vor Gott und heißt Verantwortung dort zu übernehmen, wo es gilt, Gottes Reich hier auf Erden Wirklichkeit werden zu lassen.“

Der Liedermacher Martin Pepper hat das „Vaterunser“ kürzlich in dieser gedanklichen Ausrichtung vertont:

Betend hören und handeln | Gebet

Gnädiger Gott,

wir danken dir, dass du ein Gott bist, der uns hört.
Wir danken dir, dass wir uns im Gebet an dich wenden können.

Wir danken dir auch, dass du ein Gott bist, der zu uns spricht.
Gib uns den Mut, in unseren Gebeten immer wieder „Hörpausen“ zu machen.

Wir bitten dich für alle von der Pandemie besonders betroffenen Menschen in Indien und Brasilien, in Afrika und überall dort, wo die medizinische Versorgung zusammenbricht und eine Impfung noch in weiter Ferne liegt. Wir bitten um Heilung für die Kranken und um Trost für die Angehörigen der Verstorbenen.

Wir bitten dich für alle, die unter den Einschränkungen der Pandemie zu leiden haben. Wir denken an diejenigen, die finanzielle Sorgen haben, weil ihre Einnahmen wegbrechen und die Kundschaft ausbleibt. Und an die Entscheidungsträger, die in diesen Tagen so viele Fragen beantworten und schwierige Entscheidungen treffen müssen. Hilf uns nicht wegzuschauen, sondern zu helfen, wo Hilfe benötigt wird.

Lass uns darüber aber auch die anderen nicht aus den Augen verlieren: Menschen auf der Flucht, Kinder an den Grenzen der EU und in Nord- und Süd-Amerika, diejenigen, die in Kriegsgebieten ausharren müssen. Steh du ihnen bei.

Wir bitten dich um deinen Segen für den ökumenischen Kirchentag, der nächste Woche in Frankfurt stattfindet. Mit der Kraft deines heiligen Geistes stärke die Gemeinschaft deiner Kirche, stärke den Willen zur Überwindung der Grenzen, die uns voneinander zu trennen scheinen.

Und wir bitten dich auch für unsere Gemeinschaft hier in Lorsbach. Hilf uns, hier vor Ort füreinander da zu sein.

Amen.

Betend hören und handeln | Nachspiel

Auf dem Zimmerplatz hat der Posaunenchor heute als Nachspiel ein interessantes Arrangement gespielt: eine Kombination des Segensliedes „Möge die Straße“ mit dem berühmten Kanon von Johann Pachelbel. Die drei Organisten des folgenden Videos hatten die gleiche Idee – und haben sie vor allem beim Pedalspiel recht ungewöhnlich umgesetzt.

Lebenslieder | Sonntag, 2. Mai 2021

Ein „Lichtblick“ von Pfarrerin Kerstin Heinrich

„Kennen Sie auch Menschen, die bei allem was sie tun ein Liedlein pfeiffen? Auf dem Weg ins Migros, beim Warten vor dem Bancomat, beim Wandern, im Bahnhof, sogar auf dem Stillen Örtchen… Ja genau so einer bin ich!“ Mit diesen Worten stellt sich der Schweizer Pianist Christof Fankhauser auf seiner Homepage vor. Und das Stück, das er jetzt gleich für uns spielt, leitet zum Thema des heutigen Sonntags hin. Es schält sich langsam aus dem einleitenden Tasten-Flimmern heraus…

Der heutige Gottesdienst trägt den Namen „Kantate“ – „Singt“! Eine Aufforderung, der wir in Corona-Zeiten zumindest in Gottesdiensten leider nicht nachkommen können. Sogar im Freien feiern wir unsere Gottesdienste mit Maske und ohne Gesang. Müssten wir den Namen des Sonntags also ändern in: „Non Kantate“? Nein, natürlich nicht. Denn die Bedeutung, die das Singen, die Lieder, die Musik für uns und unseren Glauben haben, reicht tiefer als das tatsächlich gesungene Lied – so wichtig dieses auch ist.

Musik gehört zu uns als Menschen. Melodien, Lieder sind Teil unseres Bewusstseins – und unseres Unterbewusstseins. Wie oft summe oder singe ich ein Lied laut oder leise oder in Gedanken vor mich hin. Oder „es“ singt in mir, ohne dass ich es zunächst bemerke, ohne dass ich darüber nachdenke, ohne dass das eine bewusste Entscheidung wäre. Melodien sind lange schon Untermieter meines Bewusstseins. Sie haben sich häuslich eingerichtet. Sie sind unkündbar.

Lieder und Melodien haben „Schlupflöcher“ in unser Innerstes gefunden, die wir nicht stopfen können – selbst wenn wir es wollten. Oder gelingt es Ihnen, selbst mit größter Anstrengung, einen sogenannten „Ohrwurm“ loszuwerden, dessen Melodie immer und immer wieder durch unseren Kopf kreist? Die A-Capella-Band „Wise Guys“ hat 2004 ein Lied über dieses Phänomen gemacht. HIer ein kleiner Ausschnitt.

Genau wie auch unser Geruchssinn oft Erinnerungen transportiert und wachrufen kann, ist das auch mit der Musik. Wenn wir bestimmte Lieder hören, rufen sie Erinnerungen wach. An Momente, die auch lang zurückliegen können. Momente, die wichtig waren, die Spuren hinterlassen haben. Oder wir verknüpfen bestimmte Melodien mit bestimmten Menschen.

Es gibt Musikwissenschaftler, die sagen, Singen sei die erste Muttersprache des Menschen. Lange bevor sich die Laute zu Worten formen und sich Begriffe bilden, machen auch kleinste Kinder schon Töne. Sie brabbeln, sie gurgeln, sie quietschen. Sie reagieren auf Gesang. Ein weinender Säugling kann sich entspannen, wenn der Vater ihn im Arm hält und dabei vor sich hinsingt. Die Vibration in der Brust, die tiefe Atmung, der Klang der Stimme, die Ruhe, die ein leise Singender ausstrahlen kann: das tröstet. Später lernt das Kind hoffentlich, wie frei es sich fühlen kann, wenn es seine Stimme erhebt. Wenn es sich hörbar macht. Wenn Melodien da sein dürfen. Musik ist der Klangteppich unserer Seele, der unser inneres Haus warm macht. Der Halt gibt, auch wenn uns die Worte fehlen. Dieser Klangteppich ist unserem Bewusstsein „enthoben“. Menschen mit Demenz beispielsweise, denen es häufig schwerfällt, sich an alltätliche Dinge zu erinnern oder an Namen oder sogar an die Gesichter ihrer Kinder, können oft vertraute Lieder auch nach Jahrzehnten noch mitsingen und verbinden mit ihnen etwas. Ihr Leben, Erinnerungen, Gefühle.

Nicht umsonst haben Lieder auch in der Bibel eine große Bedeutung. Ein paar Beispiele will ich nennen: Psalmen waren ursprünglich Lieder, mit denen Trauer, Zorn, Freude und Lob ausgedrückt wurde. Es gibt noch andere Lieder: Den Lobgesang der Maria, das berühmte Magnificat, mit dem sie ihre Freude über die kommende Geburt Jesu ausdrückt. Auch Zacharias, der Vater des Johannes, stimmt einen Lobgesang an, nachdem er erfährt, dass er in hohem Alter nochmal Vater wird. Im Alten Testament führt Mirjam nach der Durchquerung des Schilfmeers den Freudentanz und den Gesang der Frauen an und schlägt dabei die Pauke. Die Musik der Harfe, die der junge David dem König Saul vorspielt, vertreibt für eine Weile dessen schwermütige Gedanken. Auch der für heute vorgeschlagene Predigttext ist ein Lied (Lukas 19,37-40): Die Jünger und Jüngerinnen Jesu singen bei Jesu Einzug in Jerusalem ihre Hoffnungen heraus und ihren Lobpreis – und niemand kann sie zum Schweigen bringen. Und wenn es doch jemand schaffte, dann würden eben die Steine anfangen zu schreien und zu singen. Im Lied, so legt die Bibel es nahe, kann der Mensch die Gegenwart Gottes ahnen. Auch das ist ein Zugang zum Glauben. Dafür muss man nichts von Religion verstehen.

Allerdings muss man auch sagen: Dass böse Menschen keine Lieder haben, wie es in einem bekannten Kanon heißt, und dass man sich bei singenden Menschen daher ruhig niederlassen kann, ist zwar ein schöner Gedanke, aber leider nicht wahr. Marsch- und Kriegsgesänge sind dafür ein Beispiel.

Aber es gibt eben auch unzählige Beispiele, die zeigen, welch positive Kräfte die Musik, das Singen verleihen kann. Die unter unmenschlichen Bedingungen versklavten Menschen in Amerika hielten mit ihren Gesängen, den Spirituals ihren Glauben, ihre Hoffnungen, ihre Träume am Leben. Das gab ihnen die Kraft auszuhalten und nicht zu verzweifeln. Gläubige Menschen wenden sich mit ihren Liedern und Gesängen an Gott, wenn Worte nicht ausreichen. Welche Anziehungskraft haben zum Beispiel die Gesänge von Taizé bis heute! Menschen singen, wenn Worte einfach nicht genug sind. Aus purem Glück heraus oder wenn Worte fehlen. Aus Trauer. Zum Trotz. Zum Protest. Aus Liebe. Da wird die Kraft der Musik spürbar.

Im folgenden Lied wird die Musik als Sinnbild für das Leben gesehen. Die Aufnahme stammt aus der Evangelischen Kirchengemeinde Solingen-Dorp, die unter dem Motto „Ich sing dir DEIN Lied“ im November 2020 ein Video-Wunschkonzert für ihre Gemeindemitglieder gemacht hat.

Wie das Leben, so hat auch die Musik verschiedene Bauelemente. In den Strophen werden genannt: „Töne und Klang“, „Rhythmus und Schwung“, „Tonart und Takt“, „Höhen und Tiefen“ (hohe und tiefe Töne wirken ja tatsächlich ganz unterschiedlich). Aus all diesen Bauelementen setzt sich ein Lied zusammen. Obwohl es in unserem Tonsystem nur 12 verschiedene Töne gibt, kann man aus ihnen unendlich viele unterschiedliche musikalische „Gestalten“ erfinden. Es wird immer neue Melodien und Musikstücke geben. Dieses Lied will sagen: Genauso vielgestaltig wie die Musik ist das Lebenslied der Menschen. Es ist gut, wenn wir immer wieder in uns hineinhören. Den Liedern lauschen, die in uns singen. Wie auch immer die Tonart oder der Takt unseres Lebens sein mag, ob in Dur oder Moll, ob in einem schwingenden 6/8-Takt, im Marschtempo oder manchmal in einem schwebenden 3/4-Walzertakt – das Lied will Mut machen, dass wir unser Lebenslied, ob laut oder leise, vor Gott bringen. Das kann uns Stärke, Freude, Kraft und Zuversicht schenken, gerade auch in Zeiten, die bedrückend und schwer sind. Gott will dieses, will unser Lied hören!

Lebenslieder | Gebet

Gott, wenn wir dir unser Lied singen und dich loben,
dann heißt das nicht automatisch: Alles ist gut!

Wir singen dir manchmal auch Klagelieder.
Es geschieht so viel Unrecht und Gewalt in dieser Welt.
Menschen haben Angst und machen sich Sorgen um so vieles.

Wir bitten dich, Gott, für alle,
denen das Lob im Halse stecken bleibt,
weil sie und ihre Lieben bedroht sind,
weil sie Angst vor der Zukunft haben,
weil sie sich Sorgen um das tägliche Brot machen
weil sie nicht wissen, wie es weitergehen kann.

Wir bitten Dich, Gott, für alle,
die nicht wissen, weshalb sie dich loben sollten,
weil sie Dich gar nicht kennen,
weil sie Dich aus dem Blick verloren haben,
weil sie enttäuscht sind und von niemandem mehr etwas Gutes erwarten.

Hilf du ihnen und uns, allmächtiger Gott.
Gib uns deine Kraft und Zuversicht.
Wir sind dankbar für jeden Moment,
in dem wir deine Nähe spüren können.

In solchen Momenten fällt es uns leicht,
dich von ganzem Herzen zu loben
und dir unser Lied zu singen.

Amen.

Lebenslieder | Nachspiel

Als Nachspiel hören wir eine weitere Fassung von „Du meine Seele singe“, aufgenommen von der Formation „Orgel im GROOVE“ in der St-Aegidien-Kirche im sächsischen Frankenberg. Wer – wie die Gemeinde im Video – mitsingen will, findet den Text der ersten Strophe unter dem Video.

Du meine Seele, singe, / wohlauf und singe schön
dem, welchem alle Dinge / zu Dienst und Willen stehn.
Ich will den Herren droben / hier preisen auf der Erd;
ich will Ihn herzlich loben, / solang ich leben werd.

Vom Glauben reden | Sonntag, 25. April 2021

Ein „Lichtblick“ nach Gedanken von Pastor Rainer Leo

Es war mal wieder sonnig heute morgen auf dem Zimmerplatz! Der Sonne haben wir ja unter anderem zu verdanken, dass um uns herum alles wieder mehr und mehr grünt und blüht. Und weil die Sonne ein Gottesgeschenk ist, haben die Bläser heute morgen das Lied „Wenn ich, o Schöpfer, deine Macht“ (EG 506) intoniert. Dort heißt es in der zweiten Strophe:

„Mein Auge sieht, wohin es blickt,
die Wunder deiner Werke.
Der Himmel, prächtig ausgeschmückt,
preist dich , du Gott der Stärke.
Wer hat die Sonn an ihm erhöht?
Wer kleidet sie mit Majestät?
Wer ruft dem Heer der Sterne?“

Hören wir als Vorspiel zum heutigen „Lichtblick“ eine Orgel-Improvisation über diese Melodie von Ulrich Hirtzbruch aus Herford.

Schauen Sie auch hin und wieder mal eine Talkshow im Fernsehen an? Wenn ja, dann sind Ihnen die Gesichter und Namen der bekannteren Virologen und Epidemiologen bestimmt vertraut. Und auch Politiker und Journalisten sind natürlich regelmäßig zu diesen Gesprächsrunden eingeladen – manche sogar so häufig, dass man glauben könnte, sie hätten ein entsprechendes Abonnement.

Aber wann haben Sie zum letzten Mal eine Vertreterin oder einen Vertreter der Kirchen in einer solchen Sendng gesehen? Oder einfach jemanden, der das jeweilige Thema aus der Perspektive des christlichen Glaubens betrachtet hat? Oder aus der Perspektive einer anderen Religion? Das ist selten. Ab und zu wird mal ein Mitglied des „Deutschen Ethikrates“ eingeladen, um diesen Bereich möglichst „bekenntnisneutral“ abzudecken.

Und außerhalb der Talkshows? Ist es nicht so, dass das Reden über den Glauben heutzutage insgesamt – wenn überhaupt – dann höchstens im privaten Umfeld stattfindet? Und dass sich dann bei den meisten von uns gleich eine gewisse Verkrampfung breit macht: Jetzt musst du unbedingt auf „political correctness“ achten. Bloß nicht intolerant sein! Jeder soll ja schließlich „nach seiner Fasson selig werden“ dürfen, wie schon Friedrich der Große formuliert hat.

Als der Apostel Paulus auf einer seiner Reisen nach Athen kam, in eines der wichtigsten kulturellen und religiösen Zentren seiner Zeit, verhielt er sich anders. Er suchte ganz offen das Gespräch – gerade auch mit den Menschen, die andere Vorstellungen hatten. Er begegnete ihnen in ihrer Welt, knüpfte an ihre Gottesvorstellungen an und zitierte ihre Dichter.

Ein Punkt, der besondere Kontroversen hervorrief, war die Verkündigung der Auferstehung Jesu von den Toten. Die einen wollten das Gespräch dann – wie im Film gezeigt – vertagen. In der Bibel wird aber auch berichtet, dass andere Paulus speziell wegen dieser Aussage verspotteten (Apostelgeschichte 17,32).

Die Botschaft vom Tod und von der Auferstehung Jesu ist bis heute eine Herausforderung. Ihre Symbolik ist uns überwiegend klar. Aber jenseits dieser Symbolik bleiben doch einige Fragen offen. Wie einfach wäre alles, wenn Jesus sich heute einmal ganz eindeutig und für alle sichtbar zeigte. Warum passiert das nicht? Paulus schreibt selbst in einem seiner Briefe: „Die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1. Korinther 1, 22-24). Und schon wieder die nächste Frage: Manche sind scheinbar „berufen“ und manche nicht. Ist das nicht ungerecht?

Unser heutiger „Lichtblick“ kann auf diese Fragen keine Antworten geben. Wir können nur mit Paulus feststellen: Gott ist niemand, den man mit Opfern zufrieden stellen kann und muss. Niemand, für den man bestimmte Rituale durchführen muss. Er liebt die Menschen und möchte ihnen begegnen – aber eben in einer jeweils ganz individuellen und persönlichen Art und Weise. Und nur so können wir immer wieder die Erfahrung machen, dass Jesus wirklich lebt: für uns und in uns und durch uns.

Das ist nicht immer einfach, wenn wir ehrlich sind. Der Liedermacher Klaus-André Eickhoff hat ein sehr offenes Lied darüber gemacht:

Wie auch immer wir selbst Gott in unserem Glauben erleben – eines ist beim Reden über den Glauben jedenfalls noch viel zentraler als bloße „political correctness“: nämlich dass dieses Reden im liebenden Geist Gottes geschieht.

Die rationalen Argumente, mit denen man „gnadenlos“ diskutieren könnte, sind sowieso begrenzt. Eine Beweisführung, dass der christliche Gott der „richtige“ ist, scheint nicht möglich – und wäre vielleicht auch gar nicht in seinem Sinne. Aber selbst wenn dieser Beweis gelänge…

Im berühmtesten Kapitel des bereits erwähnten Korinther-Briefs von Paulus heißt es: „Wenn ich in Sprachen rede, die von Gott eingegeben sind – in irdischen Sprachen und sogar in der Sprache der Engel – , aber keine Liebe habe, bin ich nichts weiter als ein dröhnender Gong oder eine lärmende Pauke. Wenn ich prophetische Eingebungen habe, wenn mir alle Geheimnisse enthüllt sind und ich alle Erkenntnis besitze, wenn mir der Glaube im höchsten nur denkbaren Maß gegeben ist, sodass ich Berge versetzen kann – wenn ich alle diese Gaben besitze, aber keine Liebe habe, bin ich nichts.“ (1. Korinther 13, 1-2 in der Neuen Genfer Übersetzung).

Vielleicht helfen uns diese Impulse ein wenig, die Scheu abzulegen, von unserem Glauben zu reden. In christlichen Kreisen, aber auch darüber hinaus. Gott helfe uns dabei, das einzubringen, was wir unseren Mitmenschen und unserer Gesellschaft von ihm zu geben haben – im Grundton der Liebe.

Vom Glauben reden | Gebet

Ewiger Gott,
du liebst und wir leben,
du bist die Quelle.
Dir vertrauen wir uns an.

Wir bitten dich für alle,
die nach dir Ausschau halten,
die sich an dir festhalten und die auf dein Wort hören.
Wir bitten dich für deine Gemeinde –
für alle, die in dir bleiben wollen
und auch für die, die in Zweifel und Angst leben.

Wir bitten dich für alle,
die aufbrechen und nach einem neuen Miteinander suchen,
die in ihrem Alltag dem Frieden dienen,
die für andere einstehen und sie schützen.

Du bist das Leben –
du liebst und wir leben,
du bist die Quelle.
Dir vertrauen wir uns an.
Amen.

Vom Glauben reden | Nachspiel

Vom Dasein Gottes handelt das bekannte Lied „Gott ist gegenwärtig“ (EG 165) – hier in einer Version des Stuttgarter Pianisten Michael Schlierf.

Hirte und Schaf | Sonntag, 18. April 2021

Ein „Lichtblick“ von Pfarrerin Kerstin Heinrich

Der zweite Sonntag nach Ostern wird manchmal auch als „Hirtensonntag“ bezeichnet. Deshalb geht es heute – Sie ahnen es wahrscheinlich schon – um Jesus als den guten Hirten. Und natürlich geht es auch um uns…

Den berühmten Psalm zu unserem Thema – Psalm 23 – kennen vermutlich die meisten von uns. Manche vielleicht sogar auswendig. Es ist ein schöner Text – möglicherweise sogar etwas zu schön. Zu schön, um wahr zu sein?

Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten, den Psalm auf sich wirken zu lassen:

a) Im Video weiter unten sind die Sprachbilder des Psalms mit gemalten Bildern hinterlegt, die den Text vielgestaltig zum Leuchten bringen.

b) Vielleicht finden Sie sich aber auch eher in der ein oder anderen kursiv gedruckten Zeile des Schriftstellers Jürgen Rennert wieder. Er hat jedes Sprachbild des Psalms mit einer eigenen Aussage oder Frage gekontert. „Hinterfragt“ hat er den so entstandenen Text dann auch genannt…

Der Herr ist mein Hirte,
ich Schaf,

mir wird nichts mangeln,
mir fehlt was.

Er weidet mich auf einer grünen Aue,
ich sitze auf dem Trockenen,

und führet mich zum frischen Wasser,
mir stinkt’s.

Er erquicket meine Seele,
ich leide.

Er führet mich auf rechter Straße,
Wo geht das hin,

um seines Namens willen.
mein Gott, wer kennt den noch.

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
irgendwie muss es ja mal aufwärts gehen,

fürchte ich kein Unglück,
am Ende holt’s jeden,

dein Stecken und Stab trösten mich,
helfen kann einem da keiner.

Du bereitest vor mir einen Tisch,
mich übersieht man,

im Angesicht meiner Feinde,
man hasst mich.

Du salbest mein Haupt mit Öl,
wer nimmt mich schon ernst,

und schenkst mir voll ein,
ich komme immer zu kurz.

Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
nichts als Ärger,

und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar,
wenn ich nur wüsste, wohin ich gehöre.

Jürgen Rennert (Hg.), Dialog mit der Bibel. Malerei und Grafik aus der DDR zu biblischen Themen, Berlin 1984

Das Bild des Hirten – es mag uns fern sein. Und doch spricht es mich an.

Ja, ich bin ein aufgeklärter und erwachsener Mensch. Aber mitunter sehne ich mich trotzdem nach einem Hirten, der mich und meine Lieben und unsere Welt schützt und liebt. Der für uns sorgt und der sich bedingungslos für uns einsetzt. Der uns die Last der Verantwortung leichter macht. Dem wir, besonders in schwierigen Zeiten, folgen können und dem wir unser Leben anvertrauen können.

Jesus bietet das an: ihm zu folgen, sich ihm anzuvertrauen. Wie ein Schaf sich dem Hirten anvertraut.

Und so sehr gesunde Skepsis angebracht ist, wenn ein Oben und ein Unten die Beziehung von Menschen bestimmt – so sehr ist diese Skepsis im Verhältnis zu Gott überflüssig. Da darf, da muss es geradezu ein Gefälle geben. Denn darin liegt ja der Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf. Wir sind keine Kinder mehr, aber wir bleiben – Gott sei Dank – Gotteskinder. So können wir manche Verantwortung abgeben an jemanden, der das Ganze der Welt und unseres Lebens im Blick hat. Der größer ist als wir selbst. Und das kann unser Leben unendlich leicht machen. Und diese Leichtigkeit schenkt uns die Freiheit, Verantwortung dort zu übernehmen, wo es angebracht ist.

Als Erwachsene fällt es uns schwer, so vorbehaltlos zu vertrauen wie Kinder das oftmals noch tun. Vielleicht lassen wir gerade noch den Gedanken zu: Schön, wenn jetzt jemand käme, der mir sagte, was zu tun ist und wo es lang geht. Jemand, der mir Schutz bietet vor all dem Unwägbaren, das vor mir liegt.

Doch: Wer will schon gerne ein Schaf sein? Ich antworte so: Alle, die früher oder später erleben, dass wir unser Glück eben doch nicht selber schmieden können. Dass wir unseren Lebenssinn nicht alleine basteln können. Kraft, Gesundheit, Lebensfreude – dafür können wir etwas tun, aber all unser Tun ist begrenzt und es ist eben nicht alles machbar.

Wir streben zwar nach Autonomie und Freiheit – und das ist ja auch gut so. Aber gleichzeitig gibt es die Sehnsucht nach Geborgenheit und Wegweisung. All das können wir uns nicht selbst geben. Obwohl wir erwachsen sind, bleiben wir bedürftig.

Vielleicht ist das gar kein Widerspruch, sondern vielmehr ein Kennzeichen von uns Christen: Dieses Gespür dafür, dass es einerseits bei allem, was uns gelingt, immer auch Rückschläge gibt, Brüche, Irrungen und Wirrungen. Und dass es andererseits diese Stimme gibt, die mich meint und die mir sagt: „Ich bin dein guter Hirte.“

Nur: In welcher Lage müssen wir sein, um Christus als Hirten nicht nur zu hören, sondern auch anzunehmen?

Ich denke an ein Gespräch mit einem Patienten im Hospiz. Er war 57 Jahre alt. Ein künstlerischer Mensch. Sehr zurückgezogen, sehr ruhig. In seinen Bildern hat er oft christliche Themen umgesetzt. Dann bekam er Lungenkrebs und mehrere Tumore im Gehirn. Mir hat das sehr leidgetan. Doch er sagte: „Was soll’s? Sterben müssen wir alle mal.“ Nach einer Pause sagte er lächelnd und als wolle er mich trösten: „Und ich weiß ja, wohin die Reise geht.“ Der Psalmbeter sagt: „Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“

„Ich bin der gute Hirte“? Ich kann den guten Hirten wohl erst hören, wenn ich mir selbst meine Bedürftigkeit eingestehe. Wenn ich merke, dass ich – trotz aller Bemühungen, das Leben im Griff zu haben und zu gestalten – an einen Punkt kommen kann, an dem ich mein Leben dem guten Hirten anzuvertrauen muss, der mich birgt und schützt. Bei dem ich gut aufgehoben bin. Im Leben und im Sterben.  Ein Punkt, an dem ich erkenne, dass nicht alles in meiner Hand liegen muss. Das ist unsere Freiheit.

„Ich bin der gute Hirte“, sagt Jesus von sich selbst. Er weiß um die Verletzlichkeit des Lebens. Er kennt die Gefahr in die Irre zu laufen. Er sucht, was verloren ist. So vergebe ich mir nichts, wenn ich in Bezug auf Jesus wie ein Schaf bin. Unsere Sehnsucht nach Sinn und Geborgenheit ist keine leere Illusion, sondern eine berechtigte Hoffnung, die uns von Gott geschenkt ist.

„Ich bin der gute Hirte“, sagt Jesus. „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen“ (Johannes 10, 14 und 27-28).

Amen.

Hirte und Schaf | Fürbitte

Du guter Hirte,
Jesus Christus.

Bei dir ist kein Mangel.
Du bist da.
Du mahnst.
Du liebst.
Du rettest.

Gehe denen hinterher und rette,
die sich verloren haben.
Gehe denen hinterher und beschütze,
die in Angst vergehen.
Gehe denen hinterher und hole zurück,
die dem Tod entgegengehen.
Du guter Hirte,
Jesus Christus – erbarme dich.

Nimm auf deine Schulter die,
die trauern und tröste sie.
Nimm auf deine Schulter die,
die sich nicht beirren lassen und Gutes tun.
Nimm auf deine Schulter die,
die anderen beistehen und sie pflegen.
Du guter Hirte,
Jesus Christus – erbarme dich.

Sprich und verwandele die Herzen,
damit Frieden wird.
Sprich und rühre die Gewissen an,
damit die Hungernden satt werden.
Sprich und mahne zur Gerechtigkeit,
damit auch die Armen geimpft werden.
Du guter Hirte,
Jesus Christus – erbarme dich.

Amen.

Hirte und Schaf | Nachspiel

Der Komponist Franz Schubert hat den 23. Psalm für Frauenchor und Klavier vertont. Der Komponist Hans Zender hat die Klavierstimme vor einigen Jahren in eine vielfarbige Orchesterbegleitung umgearbeitet. Die folgende Aufnahme stammt aus der Stuttgarter Liederhalle.

Erkennungszeichen | Sonntag, 11. April 2021

Ein „Lichtblick“ von Rolf Wiedemann

Der Fisch ist ein uraltes Erkennungs- und Bekenntniszeichen von Christinnen und Christen. Er wird auch im heutigen „Lichtblick“ eine – vielleicht etwas unerwartete – Rolle spielen. Im folgenden Video wird das Zeichen des Fischs interpretiert von Schülerinnen und Schülern eines Berliner Gymnasiums.

Erkennungszeichen begegnen uns ständig. Die Tatort-Melodie, der Telekom-Jingle. Eine spezielle Stimme, ein bestimmtes Parfüm, ein typisches Gericht. Es gibt Gesten, Gerüche, Klänge, Verhaltensweisen oder Worte, die bringen wir sofort und oft exklusiv mit einer Person in Verbindung. Sie sind wie eine Handschrift auf einem Briefumschlag.

Nicht jedes Merkmal ist aber auch gleich ein Erkennungszeichen. Diese entstehen erst, wo ich mit anderen vertraut werde. Wo ich sie wahrnehme und etwas mit ihnen erlebe. Und je öfter und intensiver solche gemeinsamen Erlebnisse stattfinden, desto sensibler werden wir für die entsprechenden Erkennungszeichen.

Was hat es mit dem Fisch als Erkennungszeichen auf sich? Wer das noch nicht weiß, kann sich hier informieren:

In Johannes 21, 1-14 wird von einer Begegnung des auferstandenen Jesus mit einigen von seinen Jüngern erzählt. Auch hier spielen Fische als Erkennungszeichen eine Rolle. Am besten lesen Sie die Geschichte einmal selbst nach. (Ein Klick auf die Bibelstelle führt zum Text.)

Es dauert also in dieser Begebenheit ein bisschen, bis die Jünger Jesus erkennen – obwohl es einige Erkennungszeichen gibt: ein Angeltipp, ein volles Netz, etwas Brot und gegrillten Fisch. Doch damit hatten die Jünger in ihrer Situation nicht gerechnet.

Sie hatten Jerusalem verlassen. Die Sache mit Jesus war für sie gescheitert. Sie wussten zwar, dass Jesus auferstanden war. Aber irgendwie wussten sie mit dieser Auferstehung nicht so richtig etwas anzufangen. Dieses Ungewisse war nichts für sie. Also zurück an die Arbeit, in den vertrauten Alltag: Fischen im See Genezareth. Das nennt man in der Psychologie „Regression“.

Und genau dort taucht Jesus völlig unerwartet auf. Denn dort will er sein: im Alltag von uns Menschen.

Die sieben erfahrenen Fischer fahren nachts hinaus und fangen nichts. Gar nichts. Im Morgengrauen steht ein Mann am Ufer und ruft: „Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus, dann werdet ihr einen guten Fang machen!“ Und siehe da: das Netz ist knallvoll. Johannes schaltet als erster. Er erkennt: „Das ist doch der Herr! Das ist doch Jesus!“

Die Erkennungszeichen sind: ein Wort und ein volles Netz. Das hatten die Jünger schon mal erlebt. Damals – als Jesus sie nach einem genialen Fang zu Menschenfischern berufen hat (nachzulesen in Lukas 5, 1-11).

Als die Jünger am Ufer sind, hat Jesus das Essen für sie fertig. Erkennungszeichen: Brot und Fisch – die hatten doch auch schon mal für mehr als 5000 Menschen gereicht (nachzulesen in Johannes 6, 1-13).

Die Jünger hatten die Sache mit Jesus schon aufgegeben. Aber Jesus hatte seine Jünger nicht aufgegeben. Am See Genezareth begegnet er ihnen mitten im Alltag. Es ist, als würde er sagen: Meine Lieben, das alles habt ihr doch alles schon mal mit mir erlebt. Erinnert ihr euch? Erkennt ihr mich? Ich bin es: Jesus. Ich habe mich nicht verändert. Ich bin immer noch derselbe. Ich liebe euch und will weiterhin nur das Beste für euch. Vertraut mir wieder!

Mir geht es oft genauso wie den Jüngern damals. Ich weiß: An Weihnachten feiern wir, dass Gott in Jesus auf die Welt gekommen ist. Ich weiß: Jesus ist am Kreuz gestorben. Ich weiß: Gott hat Jesus auferweckt und den Tod überwunden. An diesen Festtagen wünsche ich voller Freude: „Frohe Weihnachten! Frohe Ostern! Frohe Pfingsten!“ Doch die Botschaft der Feste verändert meinen Alltag so wenig. Wie die Jünger gehe ich ins Vertraute zurück. Ich lasse Jesus hinter mir.

Aber – Gott sei Dank – lässt Jesus mich nicht hinter sich. Er hat versprochen: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Und das hält er. Er begleitet mich. Der auferstandene Christus ist nicht irgendwo. Er ist in meinem, in Ihrem, in Deinem Alltag. Er ist da – nur vielleicht manchmal ganz anders als wir denken.

Jesus bringt uns nicht schon hier und heute den Himmel auf Erden. So funktioniert es nicht. Aber er kennt meine traurigen Gedanken und meine dunklen Stunden. Er kennt all das, was ich so gerne unter den Teppich kehre. Er ist da, wenn Wege sich trennen. Er ist da, wenn der Mut fehlt, Neues zu wagen. Er ist da, wenn dein Herz dir schmerzvoll sagt: „Was du dir wünscht, wird nicht passieren!“ Er ist da, wenn Krankheit und Tod über dich hereinbrechen. Er ist da, wenn du das Gefühl hast: ich kann nicht mehr.

Jesus ist da. Doch oftmals nehmen wir ihn nicht wahr, erkennen ihn nicht. Kann das daran liegen, dass wir uns die Nähe Jesu immer so bombastisch vorstellen? So, als müsste sie jedes Mal mit Blitz und Donner einhergehen? Jesus liebt oftmals die leisen Töne. Er liebt die Stille, um uns zu begegnen.

Vielleicht begegnet er mir in dem Nachbarn, der aus Sorge nach mir sieht. In einer Karte, einer Überraschung, in einem kleinen Geschenk. Vielleicht begegnet er mir in dem Menschen, der meine Not zu seiner macht und einfach hilft, ohne von mir gebeten zu werden. Oder darin, dass jemand mir aus Liebe die Wahrheit sagt – auch wenn sie weh tut.

Er begegnet mir in seinem Wort. Er begegnet mir, wenn ich mit ihm rede. Er begegnet mir im Gottesdienst, hier und heute – und überall da, wo ich mit Menschen zusammen bin, die zu ihm gehören. Er spricht zu mir: „Lass dir von mir die Augen und das Herz öffnen, damit ich in dir lebendig werde; damit du mich in deinem Alltag erkennst; damit du mir vertraust. Denn ich habe dich lieb und will das Beste für dich.“

Lassen Sie uns versuchen, in der kommenden Woche einmal ganz konkret auf die Erkennungszeichen zu achten, mit denen uns der Auferstandene begegnet.

Erkennungszeichen | Gebet

Auferstandener Herr,
den kein Grab mehr hält,
den keine Zeit mehr begrenzt,
den kein Gedanke mehr fasst,
in dir
steht das Unbegreifliche vor uns,
wird das Unmögliche wahr.

Für alle, die in sich selbst gefangen sind
und die nur ihren eigenen Möglichkeiten trauen,
bitten wir dich:
Auferstandener Herr,
gib dich ihnen zu erkennen.

Für alle, denen keine Hoffnung bleibt,
die in Bedrängnis verstummen,
die ohne Aussicht auf Heilung oder Hilfe sind,
bitten wir dich:
Auferstandener Herr,
gib dich ihnen zu erkennen.

Für alle, die blind geworden sind
für die Weite und Würde
und für die Widersprüchlichkeit allen Lebens,
bitten wir dich:
Auferstandener Herr,
gib dich ihnen zu erkennen.

Für alle Ausgenutzten,
für alle, die nur noch funktionieren,
für alle, deren Lebensentwürfe zerbrochen sind,
bitten wir dich:
Auferstandener Herr,
gib dich ihnen zu erkennen.

Auferstandener Herr,
in dir wird das Undenkbare wahr:
Der Tod ist zur Tür ins Leben geworden.
Wir können dieses Geheimnis nicht begreifen,
aber wir wollen im Glauben darin heimisch werden.
Dir vertrauen wir uns an
in Zeit und Ewigkeit.
Amen.

Erkennungszeichen | Nachspiel

Ostern | 4. April 2021

Ein „Lichtblick“ von Pfarrerin Kerstin Heinrich und Pastor Rainer Leo

Früh um 7 Uhr auf dem Zimmerplatz in Lorsbach: Das Osterfeuer bringt Licht und Wärme in die Morgendämmerung, die Ostergeschichte wird gelesen und das eben noch nackte „Weihnachtsbaum-Kreuz“ wird von den Gottesdienst-Besuchern nach und nach mit Blumen und blühenden Zweigen geschmückt.

Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.

Markus 16, 1-8a

„Auf, auf, mein Herz, mit Freuden“ (EG 112) spielen die Blechbläser. Doch bevor die Freude sich so richtig breit machen kann, sind gedanklich noch ein paar Schritte zu gehen …

Video: Rebekka Herrmann

… genau wie bei den beiden Frauen, von denen das Markusevangelium berichtet:

Sie sind trautig. In ihrer Trauer wollen sie etwas tun. Einen letzten Liebesdienst erweisen. Sie wollen Jesus salben mit wertvollen Ölen. So gehen sie zum Grab. Vielleicht auch, um selbst irgendwie begreifen zu können, was geschehen ist, und ihrer Trauer Gestalt zu geben.

„Wer wird uns den Stein vom Grabeingang wegrollen?“ So fragen sich die drei Frauen auf dem Weg zum Grab. Denn der Stein war sehr groß.

An diesem Punkt des Weges sind uns die Frauen sehr nah. Mancher von uns mag sich diese Frage auch schon öfter gestellt haben: „Wer rollt mir nur den Stein weg?“ Die Steine, die uns auf der Seele liegen, tragen unterschiedliche Namen. Der eine hat Angst um einen geliebten Menschen oder um die eigene Gesundheit. Eine andere quält die Sorge um die Zukunft. Da liegt eine Trauer, die nicht weichen will, schwer auf der Seele.

Und natürlich der Stein – die Steine – die die Pandemie auf unsere Seele gelegt hat: Wie geht es weiter? Wie entwickelt sich das Virus? Wann werde ich endlich geimpft? Bleibe ich, bleiben meine Lieben gesund? Wie geht es mit meiner beruflichen Zukunft weiter? Wann werden wir wieder unbeschwert leben können? Die Steine auf unseren Seelen haben verschiedene Namen, doch sie sind alle schwer.

Als die Frauen damals zum Grab kommen, ist der Stein weggerollt und das Grab leer. Wie sehr erschrecken sie, als sie hören: Gott hat Jesus auferweckt. Sie laufen davon mit Zittern und Entsetzen. Denn dass Gott so machtvoll eingreift, damit haben sie nicht gerechnet. Sie können es kaum glauben.

Nach der anfänglichen Starre überwinden sie ihre Angst und berichten, was sie gesehen und gehört haben. Petrus hält es nicht mehr. Er steht auf, läuft zum Grab und sieht nach. Es ist wahr: Der Stein ist weggerollt, das Grab ist leer.

Später erscheint der Auferstandene auch den Jüngern. Die Starre fällt von den Freunden und Freundinnen von Jesus ab. Sie setzen sich in Bewegung und fangen an zu verkünden, was sie jetzt glauben.

Ohne Ostern wäre alles beim Alten geblieben. Wie versteinert. Wie immer. Aber die JüngerInnen erleben: Der zu Unrecht Verurteilte wird ins Recht gesetzt! Er ist auferstanden! Er ist wahrhaftig Gottes Sohn! An ihn zu glauben verändert alles.

Ostern bringt uns in Bewegung. Ostern bringt den Stein ins Rollen. Auch bei uns? Glauben Sie, dass Ihr Stein weggerollt werden kann?

Ostern heißt aufschauen, erste Schritte tun. Ostern heißt, dass Hoffnung wachsen kann. Ostern heißt, das Licht am Horizont zu sehen, das mich aus der Dunkelheit locken will. Ostern heißt auch zu erkennen: Ich muss nicht alles alleine stemmen. Es kommt nicht nur auf mich und meine eigene Kraft an. Gott hilft mir tragen, und er hilft mir, das wegzuschieben, was mich vom Leben trennt.

So haben die Jünger Ostern erlebt. Sie erfahren, was „Auferstehung“ bedeutet: Wir sind ja gar nicht allein auf dem Weg. Jesus ist bei uns. Anders als vorher. Manchmal erkennen wir ihn gar nicht. Doch er ist da, macht uns Mut, gibt uns Kraft. Hilft uns, die Last zu tragen.

Ostern, das ist nicht nur vor 2000 Jahren passiert. Ostern, das geschieht auch heute. Immer wieder, auch in Ihrem und in meinem Leben: Immer dann, wenn ich Wege aus der Sackgasse heraus erkenne. Wenn ein Lächeln mir Mut macht. Wenn ein Freund mir aufhilft. Wenn ich Kraft und Stärke in mir spüre und weiß: Ich bin geliebt. Ich bin nicht allein. Dann verschwindet der dicke Kloß, der in meiner Kehle gesessen hat. Ich kann aufblicken und aufbrechen. Das Schwere hat keine Macht über mich. Es gehört zu mir, ja. Und auch nach Ostern gibt es Tage, da liegen Steine schwer auf meiner Seele. Aber die Hoffnung bleibt, dass sie ins Rollen kommen können. Sie bestimmen nicht mein Leben.

Ostern schickt mich mutig und zuversichtlich ins Leben, macht mir einen realistischen Blick möglich – auch auf die Steine, die mich beschweren. Ich lege einige ab in Gottes Hände. Andere kann ich dann schultern. Ich nehme sie mit durch mein Leben, sie sind mein Gepäck, aber ich muss sie nicht allein tragen. Die Liebe, die vor dem Tod und der Finsternis nicht Halt macht, hilft mir dabei. Wenn meine Kraft nicht reicht – Gott ist an meiner Seite.

Ich darf mich getragen wissen von dem Glauben, dass der Ostermorgen die Auferstehung der Liebe war, die alles trägt, die selbst den Tod überwunden hat. Möge dieser Glaube uns festen Halt geben. Auch in Trauer und Schmerz, in Missmut oder Angst oder Bedrückung. Was auch geschieht: Gott bringt den Stein ins Rollen. Ostern in meinem Leben.

Eigentlich sind ja Ostereier das Symbol für das Osterfest. Doch mit den Konfis haben wir überlegt: Ostersteine passen als Zeichen für Ostern viel besser. Und so haben die Konfis Steine bemalt. Mit Hoffnungszeichen. Zeichen der Hoffnung, dass kein Stein so schwer ist, dass Gott ihn nicht wegrollen kann.

„Der Herr ist auferstanden!“ – „Er ist wahrhaftig auferstanden!“

Wir wünschen allen Lorsbacherinnen und Lorsbachern und allen anderen, die uns auf diesem Weg verbunden sind, ein frohes und gesegnetes Osterfest! Schauen Sie sich das blumengeschmückte Kreuz auf dem Zimmerplatz doch einmal „live“ an. Es ist ein tolles Zeichen der gemeinschaftlichen Hoffnung geworden.

Möge die Botschaft vom Auferstandenen uns in Schwung bringen!

Karfreitag | 2. April 2021

Ein „Lichtblick“ von Pastor Rainer Leo und Pfarrerin Kerstin Heinrich

Der den Wein austeilt, muss Essig trinken.
Der die Hand nicht hebt zur Abwehr, wird geschlagen.
Der den Verlassenen sucht, wird verlassen.
Der nicht schreien macht, schreit überlaut.
Der die Wunde heilt, wird durchbohrt.
Der den Wurm rettet, wird zertreten.
Der nicht verfolgt, nicht verrät, wird ausgeliefert.
Der nicht schuld ist, der Unschuldige, wird gequält.
Der lebendig macht, wird geschlachtet.
Der die Henker begnadigt, stirbt gnadenlos.

Die Kreuzigung wird geschildert in Lukas 23, 33-49:

„Heilands-Klagen“ – Das sind ursprünglich Gesänge in der Liturgie der römisch-katholischen und orthodoxen Kirche. Sie gehören seit dem frühen Mittelalter zur Feier des Leidens und Sterbens Jesu Christi am Karfreitag. In diesen Klagen beklagt Jesus das, was ihm Schmerzen bereitet – über die körperlichen Qualen der Kreuzigung hinaus. Wir haben den Text heute morgen verlesen und nach jeder Klage einen Nagel in unser diesjähriges „Weihnachtsbaum-Kreuz“ geschlagen.

Mein Volk, meine Kirche, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt? Antworte mir!

Das Evangelium der Befreiung habe ich dir gebracht.
Du aber legst anderen Lasten auf.

Ich habe dir Worte des ewigen Lebens gesagt.
Du aber machst Vergängliches zu deinem Gott.

Ich habe dich gesandt, den Völkern die frohe Botschaft zu verkünden, den Gefangenen Freiheit, den Trauernden Trost.
Du aber missbrauchst meinen Namen.

Die gleiche Würde aller Menschen habe ich dich gelehrt. Juden und Heiden, Sklaven und Freie, Männer und Frauen sind eins in mir.
Du aber herrscht über andere.

Die Barmherzigen habe ich seliggepriesen. Barmherzigkeit will Gott, nicht Opfer.
Du aber bist erbarmungslos gegenüber denen, die anders denken.

Ich bin Dir zum Brot des Lebens geworden.
Du aber gehst an den Hungrigen vorüber.

Ich bin zu Dir gekommen als das Licht der Welt.
Du aber verdunkelst meine Botschaft.

Am Kreuz habe ich für meine Peiniger gebetet. Ich habe dir aufgetragen, dem anderen zu vergeben.
Du aber verfolgst deine Gegner.

Ich habe mich für dich ans Kreuz schlagen lassen.
Du aber setzt Dich mit Gewalt durch.

Mein Volk, meine Kirche, was habe ich dir getan, womit nur habe ich dich betrübt? Antworte mir!


Das Video der Karfreitags-Ansprache von Pastor Rainer Leo wurde inzwischen von der Homepage der Evangelisch-methodistischen Kirche gelöscht und ist daher leider nicht mehr verfügbar.

Palmzweig | Sonntag, 28. März 2021

Ein „Lichtblick“ von Pfarrerin Kerstin Heinrich

„Hosianna!“ – dieses Wort hat jeder schon einmal irgendwo gehört. Aber was bedeutet es eigentlich? Der heutige „Lichtblick“ klärt auf. Und zur Einstimmung stellt der Liederpfarrer Bastian Basse den Ruf „Hosianna“ in den Kontext der Geschichte des heutigen Sonntags.

Jesus kommt nach Jerusalem zum Passahfest. Dieser besondere Mensch, der Kranke gesund machen kann und Tote wieder lebendig! Kurz vorher hat Jesus den toten Lazarus auferweckt, eine Wundertat, die viele Menschen erschüttert hat. Die sie bewegt hat – und mit Hoffnung erfüllt. Nun kommt dieser Jesus mit seinen Jüngern in die Stadt und wird von jubelnden Menschen umringt, die laut rufen: „Hosianna!“

Mit diesem Ruf wandte man sich an einen König oder an Gott: „Hilf doch!“ Und sie rufen weiter: „Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!“ Voller Begeisterung gehen sie Jesus entgegen, legen ihre Kleider zu seinen Füßen ab und winken mit Palmzweigen.

Die Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschen waren übergroß, als sie Jesus auf dem Esel auf die Stadt zureiten sahen. Neben dem Ruf „Hosianna“, „Hilf doch!“, wird dies durch zwei besonders aussagekräftige Symbole deutlich:

Jesus zieht auf einem Esel ein. Es war jüdische Tradition, dass der König zu seiner Krönung auf einem Esel reitet. Er durfte nicht auf einem Pferd reiten, da Pferde auch als Kriegstiere galten. Der Einzug Jesu in Jerusalem auf dem Esel wurde also als Einzug eines Königs, genauer gesagt des „Königs der Könige“ gedeutet. Als Einzug des Friedefürsten.

Dazu winkten die Menschen mit Palmzweigen – ein „Siegeszeichen“. Denn Palmen waren und sind symbolisch ein Zeichen für „den Sieg des Lebens“. Mit den Palmzweigen machten die Menschen deutlich: Jesus ist der König der Könige, der die Macht hat, dem Leben zum Sieg zu verhelfen in dunkler Zeit.

Palmzweige, sie sind bis heute ein Symbol für den Sieg des Lebens über den Tod. Deshalb zieren mitunter Palmzweige die Särge und sind auf Grabsteinen zu finden. Manche Bestatter lassen Palmzweige in die Scheiben ihrer Autos eingravieren und auf dem Friedhof sind in die schwarzen Tücher der Sargwagen Palmwedel eingestickt.

Palmzweige haben diesem Sonntag am Beginn der Karwoche seinen Namen gegeben: Palmsonntag.

In Europa sind Palmprozessionen an Palmsonntag bereits seit dem 8. Jahrhundert bekannt. Mit großem Aufwand wurde Jesu Einzug in Jerusalem nachvollzogen. Später, im Mittelalter, zogen angesehene Bürger der Stadt einen lebensgroßen hölzernen Esel mit einer Christusfigur an den jubelnden Menschen vorbei. Die Menge schwenkte begeistert Palmwedel. Wo das Klima das Wachstum von Palmen nicht zuließ, also in kälteren Regionen Europas, verwendete man Buchsbaumsträuße als Ersatz. Wenn der sogenannte Palm-Esel mit dem hölzernen Jesus vorbeigezogen war, nahmen die Zuschauer die Buchsbaumwedel mit nach Hause, um sie dort aufzuhängen. Davon erhoffte man sich Segen, Gesundheit, Wohlergehen. Die Reformation hat diesen Prozessionen im evangelischen Raum ein Ende gemacht und diesem Verbot fielen auch die Palm- und Buchsbaumwedel zum Opfer. Die Reformatoren hielten nichts von Palmwedeln und Buchsbaum, weil sie den Verdacht hatten, dass die Menschen ihnen abergläubische Kräfte zuschrieben.

In der katholischen Kirche behielten die Palmzweige nach wie vor eine große Bedeutung. Nach der Messe am Palmsonntag nehmen die Gläubigen ihre geweihten Palmzweige bis heute vielerorts mit nach Hause und stecken sie etwa hinter ein Kruzifix über dem Türrahmen oder an Heiligenbildchen oder Spiegel – dies soll einen besonderen Schutz für das Haus und seine Bewohner bewirken.

Segen, Gesundheit und Wohlergehen erhofften und erhoffen sich die Menschen von Jesus, und die Palmzweige waren und sind dafür ein besonderes Zeichen.

Über die Menschenmenge, die Jesus bei seinem Einzug so begeistert empfängt, wird oft ein wenig verächtlich geredet. Die, die eben noch Hosianna gerufen hätten, würden wenige Tage später Pilatus das „Kreuzige ihn“ entgegenschreien. Wankelmütig seien sie, ihre Begeisterung nicht mehr als eine Show, der man nicht trauen kann.

Doch ich denke, dies wird den Menschen nicht gerecht. Erstens weiß man nicht, ob es wirklich dieselben waren, die sich später am Hof des Pilatus versammelten, um die Kreuzigung Jesu zu fordern. Und zweitens denke ich, dass die Sehnsucht nach Heil, nach einem besseren Leben, nach einer Veränderung der Verhältnisse bei vielen wirklich aus tiefstem Herzen kam und mit Jesus verknüpft wurde.

Manche haben sich vielleicht Hilfe für ihre persönlichen Probleme erhofft: für ihre Krankheiten, für ihre Sorge um Angehörige, für ihre finanzielle Misere. Andere dachten vielleicht eher politisch und erhofften sich von Jesus, dass er endlich Schluss macht mit der Besatzung, mit den täglichen Demütigungen, die damit einhergingen. Dass er die zynischen und korrupten Machthaber beseitigt und endlich Gerechtigkeit bringt und einen Frieden, der den Namen verdient. Wünsche, wie sie gegenwärtig auch viele Einwohner Jerusalems haben, aber nicht nur da.

Was würden Sie, was würden wir heute in das Hosianna für Gedanken und Sehnsüchte legen, wenn Jesus plötzlich erscheinen würde? Welche Hilfe würden wir erbitten, weil wir mit „dem Latein am Ende sind“, weil wir nicht wissen, wie und ob es weitergehen kann? Mit dem Leben oder mit dem Beruf, mit der Kirche, mit der Politik und natürlich mit der Pandemie, die unser Miteinander, unsere Gesellschaft und unsere Gesundheit nach wie vor bedroht?

Auch heute gibt es ja eine große Bedürftigkeit. Auch heute gibt es Ängste, Nöte, Sehnsüchte. Da unterscheiden wir uns nicht von den Menschen damals. Die Sehnsucht nach Heil und Frieden ist groß.

Bei den Hosianna-Rufen der Menschen damals blieben die Hoffnungen, die die Leute auf Jesus setzen, ihre konkreten Bitten, in der Öffentlichkeit unausgesprochen. Aber vielleicht gewährten die Leute, die ihre Obergewänder für Jesus ablegten, ihm damit schon zeichenhaft einen Blick auf das, was sonst meist verdeckt bleibt: auf ihr Herz! Und mit ihrem offenen Herz empfangen sie Jesus.

Gott mit offenem Herzen empfangen – das können wir von dem Menschen damals lernen. Ihm unsere Sehnsüchte und Träume erzählen. Wir dürfen mit ihm das Heil verknüpfen. Auch wenn er das Heil ganz anders verwirklicht, als wir uns es vorstellen und wünschen. Auch dafür steht der Palmsonntag. Jesus kommt nicht als Zauberkönig in unsere Welt. Er verhindert nicht alles Schlimme und löst nicht alle Probleme mit einem Schlag. Er kommt unscheinbar, auf einem Esel und für viele Augen bleibt er als wahrer König Israels verborgen. Sein Weg führt ihn auch nicht in einen sichtbar spektakulären Triumpf über die Mächte der Welt. Sein Weg führt ans Kreuz, wo ihn nur noch eine zynische Aufschrift als König der Juden ausweist. Aber dort erringt er den größten Triumpf. Den Sieg über den Tod.

Lassen Sie uns für den kleinen Buchsbaumzweig, den wir heute mitnehmen können, zuhause ein gutes Plätzchen finden. Die Befürchtung der Reformatoren, dass Sie und ich diesen Zweigen abergläubische Kräfte zuschreiben, teile ich nicht. Doch die Zweige können uns daran erinnern, dass wir unser Herz Gott gegenüber nicht verschließen, sondern wir ihm unser „Hosianna“, „Hilf doch“ zurufen können und wir darauf vertrauen dürfen, dass das Leben siegen wird.

Palmzweig | Gebet

Wir öffnen unsere Herzen für dich, Jesus Christus.
Und mit offenem Herzen beten wir

für die Kranken
für die, denen keine Medizin mehr helfen kann,
für die, die einsam sterben,
für die, die unter der Last dieser Tage zusammenbrechen.
Komm zu ihnen mit deiner Liebe und heile sie.

für die Menschen,
die in Krankenhäusern und Pflegeheimen arbeiten,
in Feuerwachen und Apotheken,
in Kitas und Supermärkten,
in Laboren und in Ställen,
in Ämtern und Gemeinden.
Komm zu ihnen mit deiner Freundlichkeit und behüte sie.

für die Menschen,
deren Entscheidungen über das Leben vieler bestimmen.
Wir halten dir ihre Ratlosigkeit hin.
Wir halten dir ihre Überforderung hin.
Komm zu ihnen und erbarme dich über sie.

und für die Menschen,
die in der Sorge dieser Tage in Vergessenheit geraten,
die Flüchtlinge,
die Opfer von häuslicher Gewalt,
die Verwirrten und Missbrauchten,
die Hungernden,
die Einsamen.
Komm zu ihnen und rette sie.

Amen

Palmzweig | Nachspiel

Ein vielsprachiges Nachspiel beschließt diesen „Lichtblick“. Aus verschiedensten Ländern haben sich junge und jung gebliebene Menschen für die Produktion dieses Videos zusammengetan. Der deutsche Text heißt: „Hosanna in der Höhe. Du bist König und Herr. Du regierst mit Macht. Deine Herrlichkeit ist offenbar. Hosanna in der Höhe.“ Auch wenn die Herrschaft Gottes nicht immer so aussieht, wie wir das erwarten, bleibt er trotzdem der Allmächtige.

Peitsche | Sonntag, 21. März 2021

Ein „Lichtblick“ von Pfarrerin Kerstin Heinrich

Eine Peitsche ist unsere heutige „Spur zum Kreuz“. Besser geeignet wäre eigentlich eine Geißel – aber glücklicherweise fällt es uns heute schwer, ein Exemplar dieses schrecklichen Folter-Werkzeugs aufzutreiben. Deshalb die Peitsche.

Beide Gegenstände – Peitsche und Geißel – sind in einem Passionsfenster der evangelisch-lutherischen St.-Sixti-Kirche in Northeim (Niedersachsen) zu sehen. Der dortige Kreiskantor Benjamin Dippel begleitet die Betrachtung der einzelnen Personen in dem Kirchenfenster musikalisch.

Die Geißelung Jesu ist den drei Evangelisten Matthäus, Markus und Johannes jeweils nur eine kurze Notiz wert. Bei Lukas kommt sie überhaupt nicht vor. Eine Randbemerkung also. Fast so, als dürfe und könne man zu diesem schrecklichen Vorgang eigentlich gar nichts oder zumindest nichts genaueres sagen.

Die Geißelung war damals vor der Kreuzigung üblich und wurde ohne Erbarmen durchgeführt. Das Opfer würde ja sowieso sterben. Allerdings sollten die Verurteilten noch in der Lage sein, ihr Kreuz zum Ort der Hinrichtung zu tragen. In Jesu Fall scheinen die Soldaten zu weit gegangen zu sein, denn – so berichtet es das Lukasevangelium – er war nicht mehr fähig, das schwere Holzkreuz zu tragen und brauchte die Hilfe von Simon von Kyrene.

Für die römischen Soldaten war die Geißelung berufsmäßige Routine. Gewöhnlich vollzogen sie die Geißelung zu viert. Es war eine schreckliche, schmerzvolle Strafe. Gegeißelt wurde entweder mit Ulmenstäben oder mit Ruten. Oder mit Geißeln, die aus Lederriemen geflochten und oft mit kleinen Haken, Klauen, Sternen, Knochen- und Holzstückchen besetzt waren. Dass manche Verurteilte schon bei der Geißelung starben, verwundert nicht.

Warum wurden die sowieso schon zum Tode verurteilten vorher noch so grausam bestraft?

Der Zweck der Auspeitschung war wohl ein doppelter. Erstens sollte die öffentliche Züchtigung eine abschreckende Wirkung haben. Und zweitens – das wird ja durch die anschließende Verspottung Jesu noch deutlicher – sollten die Verbrecher vor aller Augen gedemütigt werden. Es gab keine Würde und kein Erbarmen bei dem Prozess. Kein Erbarmen für diesen Jesus, der sein Leben der Barmherzigkeit gewidmet hatte, der Barmherzigkeit vorgelebt und gepredigt hatte.

Und die Menge schaute zu, wie er gequält wurde.  

Wo, frage ich mich, wo waren sie denn alle, die ihn in besseren Tagen gesehen, geehrt und geliebt hatten? Die ihm gefolgt waren? Wo waren die, denen er Gesundheit, Trost und Leben gespendet hatte? Wo war Lazarus, wo der geheilte Blinde? Wo war Zachäus, wo waren die Jünger, Petrus und Johannes. Wo waren seine Eltern, seine Geschwister und seine Freunde? Wo waren all die, die ihn noch wenige Tage zuvor mit „Hosianna“, mit Jubelrufen in der Stadt begrüßt hatten?

Keine Hand rührte sich. Keine Stimme erhob sich zum Widerspruch.

Es hatten diejenigen die Oberhand gewonnen, die das Geschehen mit Genugtuung verfolgten. Die sagten, Jesus hätte es verdient. Das sei seine gerechte Strafe. Das waren die religiösen Führer. Sie wollten Rache. Sie wollten ihn tot sehen. Sie wollten ihn dafür bestrafen, dass er in seinen Reden und mit seinem Tun behauptet hatte, er sei Gott. Es konnte in ihren Augen kein größeres Verbrechen geben. Blasphemie! Gott war Gott, der eine und einzige Gott. In ihrem Denken gab es keinen Platz für einen anderen. Sie kannten die Heilige Schrift. Sie verstanden, dass sie Gott mit ihrem ganzen Herzen, ihrer ganzen Seele und ihrem ganzen Verstand anbeten mussten. Sie wussten, was richtig war. Und dieser Mann, so waren sie überzeugt, war nicht nur falsch. Er war geradezu böse, weil er die Gleichheit mit Gott behauptete und alle Heilungen in Gottes Namen durchführte – und das manchmal auch noch am Sabbat!

Und dann waren da noch diejenigen, die dachten: Von dem geht Gefahr aus. Der gefährdet unsere Sicherheit. Der bringt ins Wanken, was wir uns aufgebaut haben. Der gefährdet unsere Macht. Der stellt unsere Welt auf den Kopf.

Außerdem waren noch die dabei, die immer da waren, wenn es öffentliche Auspeitschungen gab. Die sich ergötzten an dem Schmerz, an den Schreien, an dem Blut. Die gerne zuschauten – aus der Ferne.

Ja, viele standen in der Menge, geschützt durch die Menge und sahen der abscheulichen Bestrafung zu. Und viele von ihnen feuerten die Soldaten an. Viele hatten ein sadistisches Vergnügen. Einige hätten sich das Spektakel vielleicht auch lieber nicht angesehen. Einige bekamen vielleicht auch Zweifel. Für manche fühlte es sich vielleicht auch falsch an, dass dieser so gequält wurde. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Alle standen sie da: Pilatus, der römische Despot, die Soldaten, die die Befehle ausführten und die vielen, die zuschauten.

Und da war Jesus. Der verurteilte. Der gequält und gegeißelt wurde. Vor aller Augen. Was für ein Mensch. Dieser Jesus von Nazareth.

Und ich denke an die Menschen, die heute gequält werden. Die heute gegeißelt werden vor einer Menge, aus der die einen grölen, in der die anderen schweigen und in der manche vielleicht auch zweifeln. Ich denke an die, die heute ihrer Verzweiflung zu entfliehen suchen – und dann doch wieder in der Verzweiflung landen. Die heute auf Hilfe hoffen und überall auf Ablehnung stoßen.

Die Geschichte der Geißelung ist eine Geschichte über uns.

Wir kennen die Protagonisten. Wir kennen Populisten wie Pilatus. Die sich an ihre Macht klammern. Die kein Gewissen zu haben scheinen oder die sich zumindest – wenn es sich meldet – taub stellen:

Pilatus aber sprach zu ihnen: Was hat er denn Böses getan? Aber sie schrien noch viel mehr: Kreuzige ihn! Pilatus aber wollte dem Volk Genüge tun und gab ihnen Barabbas los und ließ Jesus geißeln und überantwortete ihn, dass er gekreuzigt werde.

Markus 15, 14

Wir kennen auch die übrigen Mitspieler. Leute wie die, die vor Pilatus riefen: „Kreuzige ihn“. Die ihren Sündenbock gefunden haben. Denen es so gut tut, den ganzen eigenen Frust auf ihn abladen zu können.

Wir kennen die, die bei schwierigen politischen Fragen unangemessen einfache Lösungen anbieten oder, wenn alles andere nicht hilft, die Schuld anderen in die Schuhe schieben.

Und wir kennen die, die zuschauen. Die vielleicht zweifeln. Wir kennen die, die Mitleid haben. Deren Herz blutet – aber deren Mund schweigt. Die zuschauen, wenn Unschuldige gequält werden. Die das Unrecht spüren aber meinen, nichts tun zu können. Wir kennen sie gut. Sehr gut.

Die Geißel, die Peitsche – sie sind eine Mahnung bis heute. Wo stehe ich? Welche Haltung nehme ich ein, wenn Unrecht geschieht vor meinen Augen? Wem versage ich meine Barmherzigkeit?

Peitsche | Lied

Zum Lied „Du großer Schmerzensmann“ (EG 87) hat der Liedermacher Gerhard Schöne einen eigenen Text gemacht, der die Gedanken aus dem „Lichtblick“ aufgreift und fortführt.

Peitsche | Gebet

Gerechter Gott, in Jesus wurdest Du einer von den Menschen, die gefoltert, verfolgt und gequält werden. So bitten wir Dich heute, an diesem Sonntag mit dem Namen „Judika – schaffe Recht“:

Schaffe Recht
den Menschen, die wegen ihrer politischen Überzeugung oder ihres Glaubens, wegen ihrer Herkunft oder ihres Aussehens gefoltert, gequält, verhöhnt oder ausgegrenzt werden. Du stehst ihnen in Ihrer Not bei.

Schaffe Recht
auch den Menschen, die ihnen nahe stehen und als ihre Familien oder Freunde oder Unterstützer in finanzielle Notlagen geraten oder geschmäht werden. Du bist an ihrer Seite.

Schaffe Recht
den Menschen die engagiert und unermüdlich dafür arbeiten uns zu informieren. Über das, was wir so gerne übersehen. Über das, was wir vielleicht gar nicht wissen möchten. Steh ihnen bei, dass sie diese Arbeit frei und ungehindert tun können.

Guter Gott, in Jesus wurdest Du einer von uns. Mach uns hellhörig, wo Menschen gequält, misshandelt und ausgegrenzt werden. Oder auch wo ihnen die Beschränkungen zu schwer werden, die die Pandemie uns abverlangt. Nimm die Gleichgültigkeit von uns, weil dein Sohn uns gelehrt hat, an ihrer Seite zu stehen. Gib uns dazu Mut, Fantasie und Kraft.

Amen

Peitsche | Nachspiel

Vielleicht kann uns das Trio „SacreFleur“ mit seiner Version des Liedes „Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen“ (EG 81) am Ende dieses „Lichtblicks“ noch Raum geben für weitere Gedanken – oder sogar für einen konkreten Entschluss?

Mantel und Krone | Sonntag, 14. März 2021

Ein „Lichtblick“ von Pastor Rainer Leo

Vermutlich kennen Sie den Text dieses Liedes (EG 123): „Jesus Christus herrscht als König, alles wird ihm untertänig, alles legt ihm Gott zu Fuß. Aller Zunge soll bekennen, Jesus sei der Herr zu nennen, dem man Ehre geben muß.“

Heute geht es um Jesus als König. Deshalb kommen heute auch Mantel und Krone als Symbole dazu – die Krone allerdings in der bekannt-speziellen Version als Dornenkrone:

Beim Einzug in Jerusalem ist Jesus ja tatsächlich wie ein König gefeiert worden. Im weiteren Verlauf der Geschichte wendet sich das Blatt allerdings. Jesus wird mit Mantel und Dornenkrone, mit verfremdeten Symbolen des Königtums, eingekleidet, um ihn zum Gespött machen zu können. Die Soldaten machen sich einen Spaß aus dieser Maskerade:

Die Soldaten aber führten ihn hinein in den Palast, das ist ins Prätorium, und riefen die ganze Kohorte zusammen und zogen ihm einen Purpurmantel an und flochten eine Dornenkrone und setzten sie ihm auf und fingen an, ihn zu grüßen: Gegrüßet seist du, der Juden König! Und sie schlugen ihn mit einem Rohr auf das Haupt und spien ihn an und fielen auf die Knie und huldigten ihm. Und als sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Purpurmantel aus und zogen ihm seine Kleider an.

Markus 15, 16-20

Das Video mit Gedanken von Pastor Rainer Leo zu diesem Text wurde inzwischen von der Homepage der Evangelisch-methodistischen Kirche gelöscht und steht daher leider nicht mehr zur Verfügung.

Geldbeutel | Sonntag, 7. März 2021

Ein „Lichtblick“ von Rolf Wiedemann und Micha Häckel

Heute geht’s ums liebe Geld! Oder besser um die Liebe zum Geld? Unser Verhältnis zum Geld ist ja mitunter seltsam irrational, wie der Arzt und Unterhaltunskünstler Eckart von Hirschhausen im folgenden Ausschnitt aus einer Fernsehshow zeigt:

Die Erfindung des Geldes war und ist eine große Erleichterung für uns Menschen. Unsere heutige Gesellschaft würde mit Tauschhandel nicht funktionieren. Denken Sie an die ganzen immateriellen Werte, die wir heute mit Geld handeln können. Inzwischen handelt Geld sogar selbständig, ohne dass damit Waren verbunden sein müssen. Das birgt natürlich auch Risiken, wie wir spätestens seit den Finanzkrisen der jüngeren Vergangenheit wissen.

Geld hatte und hat seine Schattenseiten. Geld verleiht Macht. Geld kann abhängig, sogar süchtig machen, süchtig nach immer mehr. Und andererseits sagt ein Sprichwort: Geld allein macht nicht glücklich. Es kommt immer darauf an, was ich mit dem Geld mache, wozu ich es einsetze. Und welche Bedeutung ich dem Geld in meinem Leben einräume.

Zwei Episoden aus der Passionsgeschichte haben mit Geld zu tun. In der ersten Episode geht es um die Händler im Vorhof des Tempels: Geldwechsler, Taubenhändler, Verkäufer von Opfergaben wie Mehl, Wein und anderen Naturalien. Letztere mussten den Vorschriften entsprechen, mussten „rein“ sein. Die Tempelbehörden arbeiteten eng mit den Produzenten und Großhändlern zusammen. Die Opfergaben wurden aus dem ganzen Land nach Jerusalem gebracht um den Bedarf zu decken. Die Logistik war enorm aufwändig. Viele notwendige Transaktionen. Und insgesamt ein riesiges Geschäft!

Wenn Sie schon einmal in einem Land Urlaub gemacht haben, das über eine andere Währung verfügt, dann kennen Sie die Situation bei der Einreise oder am Flughafen: schnell noch Geld wechseln. So war das auch im Tempel. Es gab damals viele Zahlungsmittel, viele Münzen und Währungen, aber nur eine taugte als Zahlungsmittel für die Tempelsteuer. Also musste man wechseln. Was sollte daran schlimm sein?

Jesus regte sich furchtbar über diese Geschäfte im Vorhof des Tempels auf. Er wurde zornig. Warum? Und: Durfte er das? Der Dominikanerpater Simon Hacker sucht und findet Antworten:

Jesus erinnert mit seinem Tun also an die ursprüngliche Bedeutung des Tempels. Versucht, die Prioritäten wieder richtig zu setzen. Geschäftemacherei ist im Tempel fehl am Platz und überdeckt den eigentlichen Zweck des Hauses als Raum für die Begegnung mit Gott, als Gebetsraum. Zu Gott soll jeder kommen dürfen, ohne vorher einen Handel dafür abwickeln zu müssen. Wie wichtig Jesus das gewesen sein muss, zeigt die für ihn ungewöhnliche Aggressivität, mit der er auftritt.

Die zweite Episode spielt im Kreis der Jünger, im engsten Zirkel von Jesus. Judas verrät seinen Meister für 30 Silberlinge – oftmals dargestellt in einem Geldbeutel. (Die Geschichte ist nachzulesen in Matthäus 26, 14-16.)

30 Silberlinge waren damals nicht wirklich viel Geld. Nichts, womit man sich hätte zur Ruhe setzen können. Nichts, womit Judas seine Tat hätte rechtfertigen können. Es war der übliche Preis um einen mittelmäßig wertvollen Sklaven auszulösen. Judas fragt auch nicht nach einem bestimmten Betrag, etwa: „Gebt mir eine Million und ich verrate ihn!“ Nein, er fragt: „Was gebt ihr mir dafür?“ Er verhandelt auch nicht, um noch etwas mehr herausrauszuschlagen. Ging es ihm also wirklich ums Geld?

Judas war der Kassenwart der Jünger, wurde also als vertrauenswürdig angesehen. Und wie die anderen Jünger war vermutlich auch er ziemlich aufgebracht, als eine Frau Jesus mit teurem Öl salbte (nachzulesen ab Vers 6 im gleichen Kapitel). Das hätte man doch verkaufen können und das Geld hätte man den Armen geben können. Er musste sich zurechtweisen lassen. Er verstand nicht, worum es seinem Meister ging. Er sah nur die wirtschaftliche Unvernunft.

Beim letzten Abendmahl konfrontierte Jesus ihn mit seinem Verrat (ab Vers 24 im gleichen Kapitel). Die Bibel berichtet von keiner Reaktion der anderen Jünger, die das doch mitgekriegt haben müssen. Manchmal habe ich den Eindruck, die Jünger waren alle mit der Situation überfordert. Sie wussten nicht mehr, was ihr Herr und Meister eigentlich vorhatte, verstanden nichts mehr. Vielleicht war das auch bei Judas so. Was hat er sich bei seinem Verrat gedacht?

Manche meinen, dass er versucht hat, Jesus zum Handeln zu zwingen. Dass er ihn dazu bringen wollte, den Kampf gegen die Römer zu beginnen. Schließlich liebte ihn das Volk. Und die Hohepriester würden schon wieder zu sich kommen, nachdem die Römer zerschlagen waren und die Juden wieder die Kontrolle über ihr eigenes Schicksal hatten. Alles, was Jesus brauchte, war ein kleiner Anstoß. Er, Judas, würde den Einsatz ein wenig erhöhen – das war alles. Die Hohepriester würden die Dinge ins Rollen bringen. Sie waren für ihn leichter zu erreichen als die Römer. Sie würden die Tempelwache schicken, um Jesus zu verhaften. Und wenn Jesus sich dann wehrte, würden die Jünger mitmachen und andere würden in den Kampf hineingezogen werden und die Wache würde bald in der Unterzahl sein. Wenn dieser Kampf erst einmal im Gange war, dann würde es kein Halten mehr geben. Alle Rebellen in den verschiedenen Gruppen rund um die Stadt würden sich versammeln und die Römer würden überrumpelt werden. Und bald würde Jerusalem wieder in der Hand der Juden sein – genau wie Gott es versprochen hatte. Alles, was Jesus brauchte, war ein kleiner Stupser.

Judas verstand nicht, wozu Jesus gekommen war. Also verriet er ihn. In einem Theaterstück der niederländischen Dramatikerin Lot Vekemans, das vor einigen Jahren ins Deutsche übersetzt wurde, spielt diese Lesart auch eine Rolle. Hier ein paar Ausschnitte:

Vielleicht können wir das von Judas lernen: Dass es nicht immer richtig ist, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Weil wir meinen zu wissen, wie der Hase läuft. Weil wir glauben zu wissen, wie das Business funktioniert.

Vielleicht sollten wir stattdessen öfter mal versuchen, uns auf das Ungewöhnliche und Unkonventionelle einzulassen, das so eine große Rolle im Leben von Jesus gespielt hat – auch wenn uns das schwer fällt. Sollten versuchen, uns selbst und unsere Umgebung mit seinen Augen zu sehen, aus seiner Perspektive zu betrachten. Und vielleicht sollten wir auch unser Verhältnis zum Geld in diesem Zusammenhang immer wieder mal in Frage stellen.

Geldbeutel | Gebet

Hilf uns, Gott des Lebens.
Hilf uns in dieser Zeit
mit deiner Güte,
mit deiner Gerechtigkeit,
mit deiner Wahrheit.

Hilf denen,
die an deiner Güte zweifeln,
die fragen, wo du bleibst,
die sich vor der Zukunft fürchten,
die sich aufreiben und nur Finsternis sehen.
Hilf du und antworte ihrer Not.

Hilf denen,
die nach Gerechtigkeit schreien,
die hungern,
die sterben,
die von allen verlassen sind.
Hilf du und sorge für ein gerechtes Leben.

Hilf denen,
die um die Wahrheit ringen,
die sich der Lüge verweigern,
die dich suchen,
die dir vertrauen und Jesus nachfolgen.
Hilf du deiner Gemeinde – hier und in aller Welt.

Diese Zeit braucht Menschen, die aus deiner Güte leben.
Diese Zeit braucht Menschen, die die Gerechtigkeit lieben.
Diese Zeit braucht Menschen, die die Wahrheit bezeugen.
Mache du uns zu solchen Menschen
durch Jesus Christus, deinen Sohn
und unseren Bruder und Erlöser.
Ihm vertrauen wir uns an – heute und alle Tage.
Amen.

Wochengebet der VELKD

Geldbeutel | Segen

Waschschüssel | Sonntag, 28. Februar 2021

Ein „Lichtblick“ von Pfarrerin Kerstin Heinrich

Hände waschen bringt’s – so hören und lesen wir seit einem Jahr an allen Ecken und Enden. Und das Internet ist voll von Erklärvideos zur korrekten Hand-Hygiene.

Im heutigen Passionsgottesdienst auf dem Zimmerplatz ging es auch ums Waschen. Zuerst einmal ums Hände waschen. Nämlich in diesem Abschnitt aus der Passionsgeschichte:

Zum Fest hatte der Statthalter Pilatus die Gewohnheit, dem Volk einen Gefangenen loszugeben, welchen sie wollten. Sie hatten aber zu der Zeit einen berüchtigten Gefangenen, der hieß Jesus Barabbas. Und als sie versammelt waren, sprach Pilatus zu ihnen: Welchen wollt ihr? Wen soll ich euch losgeben, Jesus Barabbas oder Jesus, von dem gesagt wird, er sei der Christus? Aber die Hohenpriester und die Ältesten überredeten das Volk, dass sie um Barabbas bitten, Jesus aber umbringen sollten. Da antwortete nun der Statthalter und sprach zu ihnen: Welchen wollt ihr? Wen von den beiden soll ich euch losgeben? Sie sprachen: Barabbas! Pilatus sprach zu ihnen: Was soll ich dann machen mit Jesus, von dem gesagt wird, er sei der Christus? Sie sprachen alle: Lass ihn kreuzigen! Er aber sagte: Was hat er denn Böses getan? Sie schrien aber noch mehr: Lass ihn kreuzigen! Da aber Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern das Getümmel immer größer wurde, nahm er Wasser und wusch sich die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen; seht ihr zu!

Matthäus 27, 15-17.20-24

Und dann ging es noch ums Füße waschen. Das kommt nämlich auch in der Passionsgeschichte vor, nachzulesen zum Beispiel im 13. Kapitel des Johannesevangeliums. Die Evangelsich-reformierte Gemeinde Osnabrück hat die entsprechende Szene vor 5 Tagen in ihrem Video-Fastenkalender aufgegriffen.

Zweimal wird also in der Passionsgeschichte gewaschen. Jesus wäscht die Füße seiner Jünger und der römische Statthalter Pontius Pilatus wäscht seine eigenen Hände. Beide Male ist eine Waschschüssel im Spiel. Und deshalb ist die Waschschüssel unsere heutige „Spur zum Kreuz“.

fotografiert während den Vorbereitungen zum Gottesdienst

Wir haben es mit zwei Waschungen zu tun, die unterschiedlicher nicht sein könnten. In der ersten Geschichte hören wir von Pilatus, der hin- und hergerissen scheint. Auf der einen Seite hört er die Rufe des Volks („Kreuzige ihn!“) und die Forderungen der Hohenpriester, diesen Jesus hinzurichten. Und auf der anderen Seite meldet sich sein eigenes Herz und Gewissen mit der Überzeugung, dass dieser Jesus unschuldig ist.

Er lässt sich eine Waschschüssel bringen. Ich stelle mir vor, wie es auf einmal ganz still wird. Und dann hört man in der Totenstille das leichte Plätschern, als Pilatus seine Hände eintaucht. Und seine Worte: „Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen; seht ihr zu!“

Pilatus zieht sich aus der Affäre. Er will die Verantwortung für die Entscheidung, die er treffen wird, nicht übernehmen, will seine Schuld abwaschen.

Die Hände in Unschuld waschen. Durch alle Zeiten geschah und geschieht das. Bei uns ist es zum Sprichwort geworden. Wir erleben es immer wieder: „Ich bin unschuldig! Ich war’s nicht!“ Da wird zugeschaut, wie ein Mensch zusammengeschlagen wird in der S-Bahn. Keiner schreitet ein. Für die Folgen will niemand verantwortlich sein. „Ich hab doch nichts gemacht.“ Schüler werden gemobbt. Auch in den sozialen Medien. Nicht alle beteiligen sich. Einige schweigen nur. „Ich hab‘ doch nichts gemacht.“ Wir kennen Beispiele wie diese.

Doch kann man Zuschauer bleiben? Unbeteiligter? Wenn Unrecht geschieht? Sich aus der Verantwortung herausziehen? Seine Hände in Unschuld waschen?

Die Antwort der Bibel kann klarer nicht sein: Nein. Niemand kann sich aus der Verantwortung, aus der Schuld herausziehen, nur, weil er wegschaut. Weil er vermeintlichen Zwängen folgt. Weil er meint, er habe keine andere Wahl. Weil er meint, er könne da doch nichts tun.

An den Fall Pilatus wird sogar in unserem Glaubensbekenntnis bis heute in jedem Gottesdienst erinnert: „Gelitten unter Pontius Pilatus…“ Immer, wenn auf der Welt das Glaubensbekenntnis gebetet wird, wird erklärt: Pilatus kann sich nicht in den Zuschauerraum flüchten. Er bleibt beteiligt. Die Waschschüssel wird zu einer großen Selbstlüge. Es funktioniert nicht. Er kann sich nicht selbst von dieser Schuld lossprechen, egal, wie sehr er sich die Hände auch schrubbt. Die Schuld kann er sich nicht selbst vergeben.

Von einer ganz anderen Art von Waschung hören wir im Johannesevangelium. Vor dem Passahfest, so wird erzählt, steht Jesus vom Mahl auf, legt sein Obergewand ab, und bindet sich einen Schurz um. Er gießt Wasser in ein Becken und fängt an, den Jüngern die Füße zu waschen und sie mit dem Schurz zu trocknen.

Fußwaschungen waren damals nicht ungewöhnlich. Die Menschen trugen meist Sandalen, der Boden war staubig, die Füße auch. So wusch man sich vor dem Essen die Füße oder ließ sie sich waschen, zumal das Essen meist liegend eingenommen wurde. Die Fußwaschung war allerdings mit sozialer Rangordnung verbunden: Frauen wuschen ihren Männern die Füße, Kinder ihrem Vater, Sklaven ihren Herren, aber auch Gastgeber ihren Besuchern. Und nun Jesus seinen Jüngern.

Er wäscht Judas die Füße, der ihn später verraten wird. Er wäscht Petrus die Füße, der später leugnen wird, Jesus überhaupt nur zu kennen. Er wäscht denen die Füße, die einschlafen, statt über ihn zu wachen, als er sich zum Gebet zurückzieht. Er wäscht denen die Füße, die fliehen, als Gefahr droht.

Jesus macht mit seinem Tun deutlich: Eure Schuld wird euch nicht von mir trennen. In der Liebe seid und bleibt ihr mit mir verbunden.

Diese Waschung ist so ganz anders als die von Pilatus.

Sie zeigt: Nicht wir selbst können uns von unserer Schuld reinwaschen, sondern wir sind auf die Liebe Gottes angewiesen, von der uns nichts trennen kann – noch nicht einmal unser Versagen.

Dies wird in der Taufe besonders deutlich. Die Taufschüssel ist ja auch eine Waschschüssel. Mit der Taufe werden wir zeichenhaft „reingewaschen“. Wir bekommen zugesagt: Wir müssen uns nicht mehr verzweifelt selbst weismachen, dass wir unschuldig sind. Denn wir werden in unserem Leben immer wieder Schuld auf uns laden. Wir können aber mit unserer Schuld und unserem Versagen zu Gott kommen und um Vergebung bitten. Es ist kein billiger Trick, bei dem wir nicht die Verantwortung für unser Tun und Lassen übernehmen müssen. Die Taufe ist vielmehr eine Waschschüssel, die für die Zusage Gottes steht: Alles, was dich von mir trennt, soll untergehen, es soll abgewaschen werden.

Amen

Waschschüssel | Gebet

Barmherziger Gott, weil wir im Glauben an dich Zuspruch und Sicherheit suchen, bitten wir dich: Wecke gerade jetzt in der Fastenzeit in uns immer neu die Sehnsucht nach dir.

Liebender Gott, weil du dich uns zuwendest, müssen wir uns nicht aus der Verantwortung stehlen: Gib uns den Mut dir das zu bekennen, was uns von dir trennt.  

Guter Gott, weil wir in der Ebene des Alltags leben, mit all den Schwierigkeiten dieser Zeit, bitten wir dich: Schenke immer wieder auch Momente des Glücks und der Freude, kurze Begegnungen, die unser Herz erwärmen und von denen wir zehren können.

Lebendiger Gott, weil die Corona-Pandemie das Leben der Menschen schon ein Jahr lang weltweit beeinträchtigt, bitten wir dich: Stärke die Solidarität der Menschen in unserem Land und in Europa –
und lass uns dort hinschauen, wo ärmere Länder in Not sind und unsere Unterstützung benötigen.

Gnädiger Gott, weil wir in Sorge sind um die Kranken, die Notleidenden und Trauernden, bitten wir dich: Ermutige alle, die Hoffnung suchen. Sei spürbar an der Seite der Menschen, die am Sinn ihres Lebens zweifeln.

Waschschüssel | Nachspiel

„O happy day … when Jesus washed my sins away“. Dieser Gospel-Klassiker passt perfekt zum heutigen Waschschüssel-Thema. Und die Fassung, die die „Heritage Singers“ während ihrer Osteuropa-Tour 2010 in Prag produziert haben, macht dazu noch richtig gute Laune.

Brot und Wein | Sonntag, 21. Februar 2021

Etwas merkwürdig sieht es aus, das Holzkreuz, das da auf dem Lorsbacher Zimmerplatz steht. Unregelmäßig und mit vielen Ast-Ansätzen. In unserem kleinen Gottesdienst am heutigen Sonntag ist klar geworden, was es damit auf sich hat: es ist ein ehemaliger Weihnachtsbaum.

Foto: Micha Häckel

Ein Baum, dessen einst hoffnungsvolles Grün inzwischen komplett vertrocknet war und deshalb abgeschnitten worden ist. Ein Baum, der aber trotzdem in anderer Weise wieder zum Hoffnungszeichen wird.

„Spuren zum Kreuz“ haben wir die Reihe der Open-Air-Gottesdienste in der Passionszeit genannt. Und als erste Spur sind heute Brot und Wein auf den kleinen weißen Tisch vor dieses spezielle Kreuz gelegt worden. Rainer Leo, Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche, hat einige Gedanken dazu weitergegeben. Das Video von seiner Ansprache wurde inzwischen von der Website der Evangelisch-methodistischen Kirche gelöscht und steht daher leider nicht mehr zur Verfügung.

Und so haben wir uns heute versammelt (die weiß markierten Pflastersteine boten Orientierung für den richtigen Abstand):

Foto: Rolf Sorg

Das Kreuz ist übrigens auch die Woche über zu sehen: am Eingang zum Gemeinderaum der Evangelisch-methodistischen Kirche.

„Holz auf Jesu Schulter“ (EG 97) war eines der Lieder, die der Posaunenchor heute gespielt hat. In der ersten Strophe dieses Liedes wird der Zusammenhang zwischen Kreuz und Baum ebenfalls aufgegriffen, aber nicht als Rückblick auf den Weihnachtsbaum, sondern als Ausblick:

Holz auf Jesu Schulter, von der Welt verflucht,
ward zum Baum des Lebens und bringt gute Frucht.

Hier ist das Lied noch einmal in einer Jazz-Fassung des Trios „SacreFleur“ (Reiner Regel – Saxophon, Jan Keßler – Gitarre, Lars Hansen – Bass) zu hören.

Heil-Fasten | Sonntag, 14. Februar 2021

Ein „Lichtblick“ von Pfarrerin Kerstin Heinrich

Heute lassen wir’s mal wieder richtig krachen und engagieren uns für das Vorspiel ein ganzes Sinfonieorchester. Und zwar das „West-Eastern Divan Orchestra“. Dieses 1999 gegründete Ensemble besteht zu gleichen Teilen aus israelischen und arabischen Musikern. Es wurde unter anderem von dem Dirigenten Daniel Barenboim gegründet und setzt sich für friedliche Lösungen im Nahostkonflikt ein. Und warum ausgerechnet die Ouvertüre zur Mozart-Oper „Die Hochzeit des Figaro“? Naja, über Figaros bzw. Friseure wird ja allenthalben diskutiert in diesen Tagen…

So wie mir geht es wahrscheinlich sehr vielen Menschen in Deutschland: Beim Blick in den Spiegel stehen mir „die Haare zu Berge“ – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn nachdem diese nun seit gut 9 Wochen unkontrolliert und immer schwerer frisierbar vor sich hinwachsen, ist das Chaos auf dem Kopf ausgebrochen. Das ist zwar gemessen an den großen Problemen in der Welt eher ein „Problemchen“ – aber Haare sind schon ein sehr wichtiges Accessoire, das uns Gott da mitgegeben hat. Die meisten Menschen legen Wert auf eine ordentliche Frisur. Wie die Haare geschnitten sind oder eben auch nicht, sagt einiges über den Menschen und manchmal auch über seine Charaktereigenschaften aus – und über seinen Gemütszustand.

Aber nun dürfen wir uns ja schon seit Beginn des Lockdowns im Dezember die Haare nicht mehr schneiden lassen und so ist kollektives Strubbelhaar angesagt. Hätten wir 2000 Jahre früher gelebt, wäre das überhaupt kein Problem gewesen, im Gegenteil – zumindest wenn wir zum Volk Israel gehört hätten. Schon an der Haartracht sollte man im biblischen Israel erkennen, ob einer zum Volk Gottes gehört oder nicht. Im Prophetenbuch Jeremia heißt es: „Alle, die sich das Haar stutzen“, das sind die anderen, die Unbeschnittenen, die Gott heimsucht (Jeremia 9,25). Von denen sollten sich die Israeliten unterscheiden. Das biblische Buch Levitikus macht konkrete Frisurvorschriften: „Ihr sollt euer Haar am Haupt nicht rundherum abschneiden noch euren Bart stutzen.“ (Levitikus 19,27)

Allerdings ändern sich später frisurtechnisch gesehen die Ansichten. Der Apostel Paulus vertrat die Meinung, dass es für einen Mann widernatürlich und „eine Unehre ist, wenn er langes Haar trägt“ (1. Korinther 11,14).

Seitdem haben sich Meinung und Mode zu diesem Thema immer wieder geändert. Je nach Zeit waren lange Haare ein Zeichen von höherem Stand, Adel oder Heldentum oder ein Zeichen des Protestes, wovon ja auch der Ausdruck „langhaariger Bombenleger“ zeugt. Heute ist eine ordentliche Frisur jedenfalls, ob lang oder kurz, ein Kriterium fürs Wohlbefinden, und eine gepflegte Erscheinung ist den meisten sehr wichtig. Dass das professionelle Haareschneiden aufgrund der Schließung der Friseurläden unmöglich ist, bedeutet für viele einen echten Verzicht.

Wie sich überhaupt die letzten Wochen wie eine vorgezogene Fastenzeit anfühlen – obwohl diese ja offiziell erst in der nächsten Woche mit dem Aschermittwoch beginnt. Seit dem Beginn des Lockdowns „fasten“ wir: Wir verzichten auf Kontakte, auf Feste, auf Reisen, auf Kultur, auf Shopping und auf den Gang zum Frisör. Und das Fasten zeigt Wirkung: Die Zahlen der täglich gemeldeten Neuinfektionen gehen überall deutlich und spürbar zurück. Das ist eine große gesellschaftliche Leistung. Die Kraftanstrengung scheint sich zu lohnen. Die Solidarität der Jungen mit den Alten, der Gesunden mit den Kranken, der Robusten mit den Anfälligen bewirkt, dass sich für die ganze Gesellschaft ein Hoffnungsschimmer am Horizont zeigt. Darauf dürfen wir als Gesellschaft stolz sein. Die meisten Menschen tragen die Einschränkungen mit, unterstützen sie und halten sich an die Vorgaben. Ich persönlich bin froh und dankbar, in solch einer Gesellschaft leben zu dürfen. 

Und vielleicht nähern wir uns durch dieses „Fasten“ ein wenig der Bedeutung, die das Fasten im biblischen Sinne hat.

In dem Abschnitt aus dem Propheten Jesaja, der für heute als Predigttext vorgeschlagen ist, hören wir etwas über den Sinn und den Nutzen des Fastens – das ja in fast allen Religionen ein wichtiger Brauch ist. Er beginnt damit, dass Jesaja von Gott aufgefordert wird, seine Stimme laut wie eine Posaune erschallen zu lassen. Er soll nicht müde werden, den Israeliten etwas ganz Bestimmtes vorzuhalten, nämlich, dass ihr Fasten nicht dem eigentlichen Sinn des Fastens entspricht. Sie haben so gefastet, wie es Gott ganz und gar nicht gefällt. Mit einer aufrüttelnden Mahnung fordert Jesaja daher seine Mitmenschen auf, Gottes Weisungen zum Fasten zu erfüllen – sie werden zur Umkehr und zur Buße gerufen.

Wer selber nachlesen will, kann das hier tun: Jesaja 58,1-9

Falsches Fasten – das wirft Jesaja im Auftrag Gottes den Menschen vor. Falsches Fasten – das ist, wenn ich den Blick nur auf mich selbst richte. Denn „Recht“ und „Gerechtigkeit“ gehen verloren, wenn ich den Mitmenschen, und zwar den, dem es schlechter geht als mir selbst, aus den Augen verliere. Das ist falsch! „Ihr bedrückt eure Arbeiter“, ruft Jesaja. „Ihr geht euren Geschäften nach und wollt so viel Gewinn wie möglich herausschlagen – auf Kosten der Schwachen der Gesellschaft“, klagt er in Gottes Namen an. 

Und er sagt klar und deutlich, was nötig ist: „Lasst los, die ihr mit Unrecht gebunden habt!“, „Gebt frei, die ihr bedrückt“, „Reißt jedes Joch weg!“

Er stellt ihnen positiv vor Augen, was Gott will: „Brich dem Hungrigen dein Brot!“, „Gib Armen und Obdachlosen eine Zuflucht!“, „Gib denen, die nichts haben, das Lebensnotwendige: Kleidung, Unterkunft, auch Zuwendung und Achtsamkeit!“ Das Lied EG 420 handelt genau davon:

Darauf soll Fasten zielen: Etwas von sich abgeben, um es den anderen, die weniger haben oder vermögen, zukommen zu lassen. Denn nur dann, wenn ich den Mitmenschen in meinen Blick nehme, kann ich mich durch Fasten Gott nähern.

Auf etwas verzichten, um einem anderen aus seiner Not zu helfen oder zu verhindern, dass er in große Not kommt, das ist Fasten, wie Gott es liebt. Es geht hier nicht ausschließlich um Almosen oder Spenden, es geht um meine ganze Existenz. Ich kann auch mal auf mein scheinbares „Recht“ verzichten, wenn ein anderer dadurch besser „zu-recht“ kommt. Ich kann auch mal zurückstecken, damit andere eine Chance bekommen.

Ohne unser Verhalten in diesem Lockdown religiös überhöhen zu wollen: Ich denke, die Verhaltensmaßregeln, die uns als Gesellschaft gestellt sind, um die Pandemie in den Griff zu bekommen, haben dies im Sinn: Wir alle sollen zurückstecken, auf einen Teil unserer Rechte verzichten, damit andere nicht erkranken. Damit die Intensivstationen entlastet werden, damit alte Menschen wieder Besuch bekommen können und Kranke besucht werden dürfen.

Richtiges Fasten ist eine Haltung, die ich einnehme. Diese Haltung soll ich auch nicht am Ostersonntag ablegen, wenn die Fastenzeit offiziell endet – und auch nicht, wenn das Ende des Lockdowns verkündet wird.

Diese innere Haltung hört nicht auf, auf die Mitmenschen zu achten, verantwortungsvoll leben zu wollen und auf Schwächere Rücksicht zu nehmen.

Die Prophetenrede des Jesaja beschreibt in fast poetischen Worten, wie solches Fasten in Gottes Augen gewertet wird. Welche Auswirkungen es auf die Fastenden haben wird. Fast wie eine paradiesische Hymne klingen die beiden letzten Verse: „Dann wird dein Licht hervorbrechen, wie die Morgenröte“ – der Tag liegt dann vor dir, verheißungsvoll, offen für alle guten Möglichkeiten. „Deine Heilung wird schnell voranschreiten“ – du wirst dich wohler und gesünder fühlen an Körper und Geist und an deiner Seele. „Deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen“ – und was fehlt, wird Gott, der dir den Rücken stärkt, ergänzen. „Dann wirst du rufen“ – und Gott wird sich nicht mehr verbergen, sondern dir antworten. Ja, er wird hervortreten und du wirst in seiner Nähe sein. Alles wird gut sein und Gott wird zu dir sprechen: „Siehe, hier bin ich!“

Unser Fasten muss anderen zum Vorteil gereichen, sonst ist es vergebene Liebesmühe. Aber wenn das geschieht, dann ist es wirklich „Heil-Fasten“, ein Fasten, das mir und meinem Nächsten an Körper und Geist und Seele guttut und mich und die anderen Gott näherbringt. Amen.

Das folgende Lied (EG 419) ist schlicht und kurz. Gustav Lohmann hat es geschrieben, als er 85 Jahre alt war. In so hohem Alter braucht man keine Schnörkel mehr. Gustav Lohmann war Pfarrer und er betet einfach, was ihm auf der Seele liegt. Die Interpretation stammt von einer außergewöhnlichen Persönlichkeit, zu der wir am Ende des Lichtblicks noch ein paar Informationen geben.

Heil-Fasten | Gebet

Gott, du bist die Quelle des Lebens. Du willst, dass wir das Leben finden.
Gerechtigkeit und Frieden gehen von dir aus und du legst sie uns ins Herz.
Dafür danken wir dir.

Wir bitten dich für alle Männer und Frauen, die heute mahnend ihre Stimme erheben und Gerechtigkeit einklagen. Sie werden oft verlacht und nicht ernst genommen. Schenke ihnen Humor und Geduld, dass sie den klaren Blick für die Wirklichkeit behalten und dabei nicht verbittert werden. Gib ihnen die richtigen Worte um die Herzen der Menschen zu berühren und sie zu verändern.

Wir bitten dich für alle, die sich so ohnmächtig und hilflos fühlen angesichts der großen Probleme unserer Zeit. Sei ihnen nahe und stärke sie. Schenke ihnen Weggefährten und Begleiterinnen.

Wir bitten dich für alle, die in der heutigen Zeit unter ungerechten Zuständen zu leiden haben. Oft fühlen sie sich für ihre Lage selbst verantwortlich und verzweifeln daran. Gott, sei du ihnen nahe und richte sie auf. Stärke die Kräfte, die ihre Lage wenden können, schicke ihnen Menschen, die sich ihnen zuwenden.

Gott, wir bitten dich für uns selbst, dass wir nicht aufhören uns um Gerechtigkeit zu bemühen im Großen und im Kleinen. Gib uns den Mut, Unbequemes zu sagen. Gib uns ein offenes Herz, damit wir großzügig und frei unsere Güter mit denen teilen, die in Not sind. Gib uns deinen Geist, damit wir in der Liebe bleiben. Sei uns nahe, wenn wir dabei auch unser eigenes Leben verändern müssen.

Amen.

Heil-Fasten | Segen

Der Franziskaner Sandesh Manuel ist nicht nur Priester und Mönch, sondern auch Künstler und YouTuber. Damit ist er wohl einer der unkonventionellsten Geistlichen im deutschsprachigen Raum. Hier finden Sie ein kurzes Video-Porträt über ihn.

Kopf und Herz | Sonntag, 7. Februar 2021

Ein „Lichtblick“ von Micha Häckel

Wenn in der Lorsbacher Kirche Choral-Bearbeitungen im modernen Sound erklingen, dann stammen die Arrangements dafür meistens von Michael Schütz. Der ist Kirchenmusiker und Hochschuldozent, aber auch Komponist. Christina, seine Frau, ist ebenfalls Kirchenmusikerin. Sie ist im heutigen Vorspiel in einem ungewöhnlichen, aber sehr beschwingten Duo mit dem Schlagzeuger Andreas van den Brandt zu hören.

„Sexagesimae“ heißt der heutige Sonntag. Das bedeutet schlicht und einfach: noch 60 Tage bis Ostern. In zwei Monaten ist es also soweit. Und wie sehr verbinden wir mit dem Fest der Auferstehung in diesem Jahr auch die Hoffnung, dass das unser „Vor-Corona-Leben“ dann endlich wieder auferstehen kann.

Gleichzeitig ist dieser Sonntag der zweitletzte vor Beginn der Passions- und damit auch der Fastenzeit. Und seit vielen, vielen Jahren steht an diesem Sonntag das „Gleichnis vom Sämann“ im Mittelpunkt der Gottesdienste. In drei von vier Evangelien ist es überliefert. Zum Beispiel bei Matthäus, wie im folgenden Video zu sehen ist. (Schauen Sie es am besten gleich bis zum automatisch voreingestellten Ende nach 3:44 Minuten an.)

Ein Gleichnis, dessen Interpretation von Jesus gleich mitgeliefert wird. Das ist ja praktisch. Dazu muss man dann doch gar nicht mehr allzu viel sagen, oder?

Mich irritiert zunächst einmal der Abschnitt zwischen dem Gleichnis und der Interpretation. Seit ich diesen Abschnitt kenne, komme ich nicht so richtig damit klar. Ist das nicht ungerecht, dass einige Menschen scheinbar vom Verständnis des Gleichnisses ausgeschlossen werden? Und dass dessen Interpretation nur einem exklusiven Kreis von Auserwählten zuteil wird? Dass dies alles sogar genau so von Propheten vorhergesagt worden ist? Ich schlage in der Bibel nach: „Ihnen ist es nicht gegeben“ ist der genaue Wortlaut in Matthäus 13, 11 – und mein Unbehagen bezüglich der Ungerechtigkeit bleibt.

Aber lassen wir das zunächst einfach mal so stehen und wenden uns der Interpretation zu. Denn hier muss ich zugeben, dass ich mich ertappt fühle. Und zwar besonders in der Version des Lukas-Evangeliums, die offiziell für heute als Predigttext vorgeschlagen ist. Dort heißt es (Lukas 8, 14):

Wieder bei anderen ist es wie mit der Saat, die ins Dornengestrüpp fällt. Sie hören das Wort, doch im Lauf der Zeit wird es von den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden, die das Leben bietet, verdrängt.

Sorgen haben wir ja alle mehr oder weniger. Ob wegen Corona oder aus anderen Gründen. „Unter jedem Dach ein Ach“, pflegte meine Schwiegermutter zu sagen. Und manchmal wachsen uns die Sorgen über den Kopf. Das kann man zwar versuchen in den Griff zu bekommen, beispielsweise durch Beherzigung des Verses „All eure Sorge werft auf ihn“ (1. Petrus 5, 7). Aber das gelingt nicht immer, wie wir alle wissen.

Und wie ist es mit dem Reichtum? Kommt jetzt die genussfeindliche Askese-Keule? Nein, darum geht es nicht. Dass wir freudig genießen dürfen, was das Leben uns schenkt, ist eine biblische Binsenweisheit.

Ich fühle mich trotzdem ertappt. Und zwar bei der Frage nach der Balance. Bei der Frage: Was wächst alles in mir? Und welchen Pflänzchen gebe ich wieviel Futter?

Ich muss ja vielleicht nicht gleich so glaubensstark sein, dass ich die erste Strophe des Gesangbuch-Liedes EG 198 (ist übrigens für den heutigen Sonntag vorgeschlagen…) hundertprozentig ohne Einschränkung mitsingen kann:

Herr, dein Wort, die edle Gabe,
diesen Schatz erhalte mir;
denn ich zieh es aller Habe
und dem größten Reichtum für.
Wenn dein Wort nicht mehr soll gelten,
worauf soll der Glaube ruhn?
Mir ist’s nicht um tausend Welten,
aber um dein Wort zu tun.

Die Persiflage, die das christliche Comedy-Duo „Superzwei“ zu diesem Lied geschrieben hat, bildet vermutlich auch nicht exakt den Standpunkt ab, auf dem die meisten Leser dieses „Lichtblicks“ stehen. Aber enthält sie nicht doch auch ein Fünkchen Wahrheit?

Herr, dein Wort, die edle Gabe,
lieblich schmückt sie mein Regal.
Samstags wische ich drauf Staub
und dann glänzt es so sakral.
Wenn dein Wort nicht mehr soll gelten,
ja, was hätt ich dann zu tun?
Dann würd ich kein‘ Staub mehr wischen,
um stattdessen auszuruhn.

Dein Wort, Herr, niemals vergehet.
Ewig bleibt’s im Schrank hier steh’n.
Schwarzer Einband, sogar Goldschnitt,
wunderbar ist’s anzusehn.
Würd ich’s lesen und befolgen,
änderte mein leben sich…
Ach, lass ab von dem Gedanken,
der scheint mir ganz fürchterlich.

Wieviel Einfluss hat Gottes Wort auf mein Leben? Beziehungsweise: Wieviel Einfluss gestehe ich ihm zu? Inwiefern bereite ich ihm den Boden meines Lebens – oder zumindest einen Teil davon? Das scheinen mir die Kernfragen des Dornengestrüpp-Vergleichs zu sein.

Diese Fragen erinnern mich an ein über 30 Jahre altes Lied, einen Oldie, dessen Text mir in unserem Zusammenhang bedenkenswert erscheint. Die Melodie stammt von David Mallett (der englische Originaltitel lautet „Garden Song“), der deutsche Text stammt von Andreas Malessa:

Wachstum ist aus Gottes Sicht auch die Freiheit zum Verzicht.

Dieser Satz aus dem Liedtext hat es mir unter anderen angetan. Er passt auch gut zur bald beginnenden Fastenzeit.

Auf welche Produktion der Unterhaltungsindustrie könnte ich beispielsweise vielleicht einmal verzichten – zugunsten der Beschäftigung mit einem geistlichen Thema? An welchen Stellen meines Daseins-Bodens wuchern die vielfältigen Zerstreuungen, die das Leben so bietet, alles andere zu? Bin ich so frei, mich auch im Alltag immer mal wieder dem kleinen Körnchen Gott zuzuwenden, das da irgendwo in mir drin steckt, und es mit Nährstoffen zu versorgen, damit es wachsen kann?

Vielleicht einfach, indem ich einmal zur Ruhe komme? Oder indem ich mich an ein Lied erinnere, das eine Bedeutung für mich hat? Oder indem ich einen Abschnitt in der Bibel lese – einfach so, ohne großes Drumherum? „Wer Ohren hat und hören kann, der höre“, sagt Jesus.

Und eins ist auf jeden Fall klar: Anders als die Menschen, über die Jesus sagte „Ihnen ist es nicht gegeben“, haben wir ziemlich viele Möglichkeiten, zu versuchen, etwas vom Wort Gottes in uns aufzunehmen und zur Blüte und schließlich sogar zur Frucht zu bringen. Wir müssen nur (vielleicht wieder einnmal?) damit anfangen.


Am Ende der Lesung im Gottesdienst sagen wir oft den Vers „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg“ (Psalm 119, 105). Im folgenden Video erklingt die einigermaßen berühmt gewordene englische Vertonung dieses Verses von Amy Grant und Michael W. Smith aus den 80er Jahren:

Kopf und Herz | Gebet

Ewiger Gott,
mach uns zu gutem Land,
damit dein Wort in uns wachsen kann
und diese Welt besser wird.

Bereite dir Boden bei den Einflussreichen der Welt,
damit sie dein Wort hören und dem Frieden dienen.

Bereite dir Boden bei den Starken der Welt,
damit sie dein Wort tun und die Last der Schwachen mittragen.

Bereite dir Boden bei den Hartherzigen der Welt,
damit sie dein Wort spüren und empfänglich werden für die Sorgen ihrer Mitmenschen.

Ewiger Gott,
mach uns zu gutem Land.
Hundertfache Frucht lass wachsen,
damit wir einander beistehen,
damit die Trauernden getröstet werden,
damit die Sterbenden geborgen sind,
damit die Verzweifelten aufatmen,
damit die Geschlagenen freikommen.
Hundertfache Frucht lass wachsen,
damit unsere Kinder eine gute Zukunft haben.

Ewiger Gott,
mach uns zu gutem Land
durch Jesus Christus.
Ihn wollen wir hören.
Ihm vertrauen wir –
heute und alle Tage.
Amen.

Kopf und Herz | Segen

Das heutige Segens-Video besteht musikalisch aus einer scheinbar nicht enden wollenden Folge von Wiederholungen. Aber die Bilder greifen in ihrer Vielfalt und Aussagekraft noch einmal einige Themen dieses „Lichtblicks“ auf.


Licht im Herzen | Sonntag, 31. Januar 2021

Ein „Lichtblick“ von Pfarrerin Kerstin Heinrich

Haben Sie ihn schon bewusst genießen können? Immer wieder hat sich der Winter in diesem Jahr schon von seiner schönsten Seite gezeigt und hat uns eingeladen in wunderschöne Schneelandschaften. Aber natürlich gibt es zwischendurch auch die Tage, an denen alles grau in grau ist, nasskalt und neblig, trüb und wolkenverhangen. Wie gut, wenn man dann – wie die Maus Frederick in dem beliebten gleichnamigen Kinderbuch – innerlich vorgesorgt hat und ein paar Farben für den Winter gesammelt hat.

Auch unser Eröffnungslied erzählt davon. Es wurde vor rund 40 Jahren von dem Liedermacher und Fotografen Role Kalkbrenner komponiert. Im September 2020 wurde das nachfolgend verlinkte Video dazu produziert, in dem man auch kräftig leuchtende Fotos des Künstlers betrachten kann.

Licht im Herzen | Gedanken

„Bleiben Sie zuversichtlich!“ – um dieses Schlusswort aus den „Tagesthemen“ drehte sich der „Lichtblick“ vom vergangenen Sonntag. Ich möchte das heute noch einmal aufgreifen. Denn es ist ja ganz schön schwer, zuversichtlich zu bleiben in diesen Zeiten. An grauen und dunklen Wintertagen. In der 7. Woche des Lockdowns. All das zehrt an unserer Zuversicht.

Der letzte „Deutschlandtrend“ hat gezeigt, dass immer mehr Menschen die täglichen Einschränkungen zunehmend als Belastung empfinden und damit auch die Zufriedenheit mit den Maßnahmen abnimmt. Die Pandemie fordert uns viel ab.

Und ich frage mich: Was gibt uns Halt, wenn das Leben ins Wanken gerät? Was macht uns Mut, wenn wir nach der Zukunft fragen? Was kann uns Orientierung geben, wenn wir nicht wissen, wohin wir gehen sollen? Was kann uns zum Licht werden, wenn wir im Dunkeln umherirren?

Wir Menschen brauchen das – in diesen Zeiten besonders: Wegweisung, Orientierung, Helligkeit und Licht. Damit wir nicht straucheln. Damit wir den Weg finden. Damit wir etwas haben, an das wir uns halten können. Und wir brauchen die Vergewisserung, dass das, was uns bisher getragen hat, auch in schwierigen Zeiten Bestand hat.

Der für heute vorgeschlagenen Predigttext aus dem zweiten „Petrus-Brief“ versucht auch Mut zu geben in unsicherer Zeit. Um seinen Worten Gewicht zu verleihen, gab der Verfasser dieses Briefes sich den Namen „Petrus“, den Namen eines der Jünger Jesu.  Dies war damals ein übliches Stilmittel. Der unbekannte Autor erinnert in seinem Brief an eine der Sternstunden des Apostels Petrus, der dabei war, als Jesus auf einem Berg eine bewegende Gotteserfahrung gemacht hat. (Nachzulesen ist diese Sternstunde in Matthäus 17, 1-9; der Predigttext ist in 2. Petrus 1, 16-19 zu finden.)

Denn Gottes Zusagen leuchten wie ein Licht in der Dunkelheit, bis der Tag anbricht und der aufgehende Morgenstern in eure Herzen scheint.

2. Petrus 1, 19

Dieser letzte Satz des Predigttextes berührt mich.

Auch die Adressaten des Petrusbriefes lebten in dunklen Zeiten und ihre Hoffnung, ihr Optimismus, ja sogar ihr Glaube geriet ins Wanken. Petrus möchte die Sinne seiner Leserinnen und Leser wieder schärfen: Schaut doch auf das Licht, das mit Jesus in die Welt gekommen ist, schreibt er. Sein Licht will in den Herzen der Menschen scheinen. Durch Jesus wissen wir, dass Gott uns liebt, dass wir seine Kinder sind und dass er uns nicht verlässt. Petrus erinnert an die Kraft der prophetischen Worte: Hört genau hin bei diesen Zusagen!

Und ich denke an die berührenden Bilder vom glimmenden Docht, den Gott nicht auslöschen wird. Vom geknickten Halm, den Gott nicht brechen wird. Und von den Engeln, denen befohlen wurde, an unserer Seite zu stehen. Worte und Bilder, die helfen, dass unser Hoffnungslicht nicht verlöscht.

Achtet auf das Licht, so wird es euch helfen gegen alle Mächte und Gewalten, die das Licht Gottes in dieser Welt und in euren Herzen verdunkeln wollen – so wirbt der Verfasser des Petrusbriefes. Traut auf die Zusagen Gottes, so werdet ihr ein Licht in eurem Herzen haben.

Was ist für mich, was ist für Sie das Licht, das im Herzen brennt? Ja, es sind die Worte und die Verheißungen in der Bibel, die mir Zuversicht schenken. Darüber hinaus sind das aber zum Beispiel auch Erinnerungen an Erlebnisse, die mein Leben in einer tiefen und nachhaltigen Weise geprägt haben. Erinnerungen an besondere Augenblicke, unverhoffte Sternstunden, geduldiges Begleitetsein. Erinnerungen an Momente, in denen ich wusste: Ich bin geliebt und gehalten. Das Wissen, da ist etwas, das größer ist als ich. Da ist eine Kraft, die nicht nur aus mir selbst kommt.

Für mich sind das Erinnerungen an Augenblicke, die mir deutlich gemacht haben, dass mein Leben sich nicht in dem erschöpft, was ich hier auf der Welt vor Augen habe. Doch manchmal fällt es mir schwer, mich an solche Momente zu erinnern. Manchmal sehe ich eben nur noch das, was ich vor Augen habe. In diesen Zeiten der coronabedingten Einschränkungen beispielsweise ist der Blick fixiert auf all das, was nicht geht, was „verboten“ ist. Auf die verlorenen Monate für unsere Kinder. Auf verpasste und nicht wiederkehrende Möglichkeiten.

Dann ist es gut, wenn jemand anderes mir vom Licht erzählt und die Erinnerung wachhält an lichte Zeiten. Manchmal ist es gut, wenn jemand da ist – Vater oder Mutter, ein Lehrer, eine gute Freundin – der oder die uns davon erzählt, was uns und unser Leben so wertvoll, so einzigartig macht. Und der oder die den Blick weitet auf die Möglichkeiten und zur Zukunft hin.

Davon erzählt auch diese kleine Geschichte:

In einem Krankenzimmer lagen zwei Männer. Beide waren ans Bett gefesselt, aber der eine hatte das Glück, den Fensterplatz zu haben, während der andere nur auf die Wände sehen konnte und ein wenig auch auf den Himmel. An einem wunderschönen sonnigen Tag bat er den Mann am Fenster, ihm zu erzählen, was er denn da draußen sah. Und der erzählte ihm von einem wunderschönen grünen Park, in dem gerade die ersten Bäume und Blumen blühten, er erzählte vom Liebespaar, das unbeschwert und fröhlich durch den Park schlenderte, von den Kindern, die miteinander Wettrennen machten und von dem Hund, der großen Spaß daran hatte, den geworfenen Ball immer wieder zu bringen. Er erzählte von den Vögeln, die ihre Nester bauten und den Menschen, die sich trafen und unterhielten und manchmal auch stritten. Von nun an bat er den Mann am Fenster jeden Tag, ihm zu erzählen, und das tat er so schön, dass er sich alles bestens vorstellen konnte und plötzlich seine Welt viel größer wurde als das Krankenzimmer. So ging es eine ganze Zeit lang, bis eines Morgens das Bett mit dem Mann am Fenster verschwunden war. Was ist los, fragte er erschrocken. Und er bekam die traurige Nachricht, dass der Mann am Fenster heute Nacht gestorben war. Nun blieb ihm nur noch die Möglichkeit, selber aus dem Fenster schauen zu können, und darum bat er die Schwestern, sein Bett zu verschieben. Wie erstaunt war er, dass er nur auf eine graue Betonwand blickte.

Quelle unbekannt

Ein Mensch, der das Licht in seinem Herzen am brennen hält, sieht mehr, hofft mehr, glaubt mehr, als vor Augen ist.  Der kann das Licht an den dunklen Orten des Lebens am brennen halten oder neu entzünden.

Uns als Christinnen und Christen leuchtet ein Licht auf der Reise durch unser Leben. Es ist der Glaube an Gott, der mich in seinem Herzen trägt wie eine Mutter ihr geliebtes Kind. Dieser Glaube gibt meinem Leben Würde. Mein Leben bekommt Bedeutung. Weil ich weiß, dass Gott mich niemals loslässt. Weil ich das immer wieder spüren kann in besonderen Momenten, durch Menschen, die mir begegnen, in Erinnerungen, die mir Kraft geben. Dieser Glaube ist mir Heimat durch alle Zeiten, wie hell oder dunkel sie sein mögen.

Das lässt mich getrost meinen Weg gehen. Darum will ich achtgeben auf das Licht, dass es mir selbst an einem dunklen Ort scheine. Darum will ich achtgeben, dass Christus, der Morgenstern, aufgehe in meinem Herzen. Und dann davon erzählen und so anderen Menschen das Licht weitergeben.

Licht im Herzen | Gebet

Guter Gott, deine Zusage, an unserer Seite zu sein und zu bleiben durch alle Zeiten, will wie ein Licht in unser Leben strahlen. Schenk uns offene Herzen, diese Zusage zu hören und als einen Schatz in uns zu bewahren. Schenk uns Augen, die Hand zu sehen, die du uns reichst, um unsere Schritte zu begleiten, gib uns Mut und Glauben dazu.

Wir bitten dich:

Sende du dein Licht zu den Menschen, die keinen Mut und keine Kraft mehr für die Gegenwart haben.
Sei du da für die, die nicht wissen, wie sie ihre Zukunft gestalten sollen.
Sei du da für uns, damit wir da sind, wo ein Mitmensch uns braucht.

Gott, du willst uns Zukunft schenken. Du erhellst unser Leben mit dem hellen Schein deiner Liebe. Das kann uns Mut und Phantasie schenken, dein Licht weiterzutragen dorthin, wo es dunkel ist. Schenke uns Zuversicht, damit wir uns freuen auf die Zukunft mit dir.

Amen

Licht im Herzen | Nachspiel

Ob der Künstler, der heute für das „Nachspiel“ sorgt, die Gedanken dieses „Lichtblicks“ bei seiner Komposition auch mitgedacht hat? Wir wissen es nicht. Es ist kein spezifisch christliches Lied und „Benne“ ist auch kein spezifisch christlicher Künstler. Aber wenn man die Gedanken mitdenkt, passt das ganz gut…

Zuversicht | Sonntag, 24. Januar 2021

Ein „Lichtblick“ von Corinna Häckel

Die meisten von Ihnen haben die Musik, die den heutigen „Lichtblick“ eröffnet, vermutlich schon einmal gehört. Wahrscheinlich in einer rein instrumentalen Fassung. Denn der barocke Original-Text ist für uns mehr als 350 Jahre nach seiner Entstehung nicht ganz so leicht zugänglich. Trotzdem gibt es auch in solchen Texten immer wieder Formulierungen, die etwas in mir anstoßen. Ich werde noch darauf zurückkommen.

Letzten Sonntag hat unsere Pfarrerin ja gute Nachrichten im Tagesthemen-Stil verkündet. Wenn die Tagesthemen aber ausnahmsweise nicht von ihr, sondern von Ingo Zamperoni moderiert werden, dann endet die Sendung in aller Regel mit dem Schlusswort „Bleiben Sie zuversichtlich“. Und dieses Schlusswort soll heute einmal gleich am Anfang stehen.

„Bleiben Sie zuversichtlich!“ Schon oft habe ich diese Aufforderung seit Beginn der Corona-Pandemie zitiert. Nicht zuletzt, weil ich mir das immer wieder selbst zurufen möchte.

Hat Zuversicht in diesen Tagen überhaupt noch eine Berechtigung? Bleibt sie im Moment nicht nahezu komplett auf der Strecke? Gehört sie zu den Luxusgütern guter Tage?

Dass Zuversicht verloren gehen kann, ist nicht neu. Schon der Verfasser des biblischen Hebräerbriefs wusste darum. „Werft eure Zuversicht nicht weg!“ (Hebräer 10, 35) ruft er seinen Leserinnen und Lesern zu.

Woher kommt eigentlich dieses sperrige Wort „Zuversicht“?

Das kluge etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache (nach dem gleichnamigen Herausgeber Friedrich Kluge ;-)) leitet das Wort „Zuversicht“ unter anderem von dem mittelhochdeutschen „zuoversiht“ ab und bringt es mit „Sehen“, mit „Sicht“ und Einsichtnehmen in Verbindung: Sich versehen mit Sicht zu jemandem, Sicht zu jemandem gewinnen. Schon sehr früh wurde dieses Einsichtnehmen scheinbar mit der Bedeutung „Vertrauen“ verknüpft, besonders mit dem Vertrauen auf Gott. Zuversicht bezeichnet demnach einen verlässlichen Grund, einen festen Halt, der aus dem Gottvertrauen ersteht.

Dass Zuversicht auch heute noch ein geläufiges Wort ist, kann man nicht nur bei Ingo Zamperoni sehen. Der Liedermacher Martin Pepper hat für mich in schönen Bildern verdeutlicht, wie Gottvertrauen in unsicheren Zeiten aussehen kann.

Du bist meine Zuversicht und Kraft,
Zuflucht auch in schwerer Zeit.
So wie eine fest gebaute Stadt,
der Inbegriff der Sicherheit.
Du bist meine Freude und mein Licht,
ein reicher Quell der Zuversicht.
Freund, der nie von meiner Seite weicht,
mir die Hand zur Hilfe reicht.

Auch wenn der Grund ins Wanken gerät,
die Erde bebt und meine Welt vergeht
Du bist meine Festung,
die über allen Schrecken steht.
Du bist ein sicherer Zufluchtsort,
ich nehm Dich bei Deinem Wort
Wer sucht, der wird finden,
wer bittet, der empfängt.

Zuversicht, helles Licht, wo wär ich ohne Dich!

Wer ist im Moment nicht müde? Die Pandemie, die uns jetzt schon fast ein Jahr in Atem hält, nimmt unseren Blick gefangen: Neuinfektionszahlen, Inzidenzzahlen, Todeszahlen, Beatmungsplätze, Lockdown, Kurzarbeit, Wirtschaftseinbruch… „Man würde gerne die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn man sie nicht vom letzten Mal noch dort oben hätte“, war vor einiger Zeit in einer Tageszeitung zu lesen.

Ein Blick in die Bibel zeigt: Von Zuversicht ist häufig gerade dort die Rede, wo es Engpässe, Notsituationen und Bedrängnisse gibt. Man könnte meinen, das Wort „Zuversicht“ solle als trotziges Signal dienen: Trotz allem, was dagegen sprechen mag, ist da ein Weg, vielleicht sogar ein Ausweg. Da ist eine Perspektive. Auch inmitten von Schwierigkeiten lässt sich leben – in Zuversicht.

Der Beter von Psalm 71 findet sich beispielsweise in ziemlich widrigen Lebensumständen. Er ist umzingelt von gewalttätigen Menschen. Zudem erlebt er, dass sein zunehmendes Alter ihn schwächt und in Vereinsamung und Isolation bringt. Aus dieser Enge kommt sein Gebet:

„Herr, mein Gott, du bist ja meine Zuversicht, meine Hoffnung von Jugend auf. Vom Mutterleib an stütze ich mich auf dich, vom Mutterschoß an bist du mein Beschützer; dir gilt mein Lobpreis allezeit. Für viele bin ich wie ein Gezeichneter, du aber bist meine starke Zuflucht.“ (Psalm 71, 5-7)

Statt zu resignieren und aufzugeben wird dieser alte, lebenserfahrene Beter aktiv. Mit einem wachsamen Blick schaut er in die eigene Lebensgeschichte. Die eigenen Lebenserfahrungen sind allemal ein guter Lehrmeister. Seine eigene Lebensgeschichte zeigt ihm, wie sehr Hoffnung und Zuversicht sein Leben von den Anfängen an, vom Mutterschoß an, begleitet haben.

Die gegenwärtigen Schwierigkeiten sind damit nicht behoben. Doch gestärkt, stabilisiert von dieser im Leben bewährten Erfahrung mit Gott, dem Grund seiner Hoffnung und Zuversicht, vermag er die Gegenwart zu bestehen.

„Bleiben Sie zuversichtlich“ müssen wir uns aber unbedingt auch gegenseitig zurufen. Trotz aller Kontakt-Vermeidung muss ja nicht jeder nur alleine und vereinzelt seinen Weg zur Zuversicht finden. „Tröstet euch untereinander und einer erbaue den anderen“, heißt es in einem Brief des Apostels Paulus (1. Thessalonicher 5, 11).

Gerade in Zeiten, in denen wir uns noch nicht mal am Sonntag im Gottesdienst vor Ort persönlich begegnen können, sollten wir unbedingt den Kontakt zueinander suchen.

Vielleicht rufen Sie mal jemanden an, den Sie unter normalen Umständen womöglich im Gottesdienst getroffen hätten – auch wenn er oder sie nicht unbedingt zu ihrem engeren Bekanntenkreis gehört. Oder werfen Sie eine Karte in den Briefkasten, stellen Sie jemandem ein Blümchen vor die Tür. Lassen Sie uns untereinander den Blick auf Gottes Zusage eröffnen, dass er an unserer Seite ist als sicherer Zufluchtsort („hiding place“) in ungewissen Zeiten.

Erinnern Sie sich noch an das Eingangsstück? Dort hieß die letzte Textzeile „Darum lass ich Jesus nicht, aus dem Herzen und Gesicht.“ Und „Gesicht“ bedeutet hier „Gesichtssinn“, also „Blick“. Ich wünsche uns, dass es uns gelingt, Gott nicht aus dem Blick zu verlieren in diesen Zeiten. Und dass dieser Blick auf Gott uns Zuversicht schenkt. Und dass wir uns dann gegenseitig immer wieder vermitteln können: „Bleiben Sie zuversichtlich!“.

Wesentliche Anregungen verdankt dieser „Lichtblick“ einer Predigt von Prof. Franz Sedlmeier, die hier zu finden ist.

Zuversicht | Gebet

Guter Gott, wir bitten dich:

Bleib und komm du immer wieder neu in unsere Herzen,
damit wir in deiner Zuversicht unsere Wege gehen können.

Bleib und komm du immer wieder neu in unser Blickfeld,
damit wir von dir angestrahlt auch Lichtblicke für andere Menschen sein können.

Bleib und komm du immer wieder neu mit deinem Segen zu uns,
damit wir mit diesem Rückenwind Schritt für Schritt in die kommende Zeit gehen können.

Amen

Zuversicht | Segenslied

Jahres-Themen | Sonntag, 17. Januar 2021

Ein „Lichtblick“ von Pfarrerin Kerstin Heinrich

„Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit! Lob ihn mit Schalle, du werte Christenheit! Er lässt dich freundlich zu sich laden; freue dich, Israel, seiner Gnaden!“ (EG 502).

Wir sind freundlich eingeladen, das hört man doch gerne! Und diese Einladung kommt nicht von irgendwem, sie kommt von höchster Stelle: von Gott, der gnädig und barmherzig ist. Also, wenn Sie wollen, dann können Sie gerne mit einstimmen:

Barmherzigkeit ist das zentrale Thema des heutigen „Lichtblicks“. Denn es geht um die Jahreslosung, die für 2021 gewählt wurde: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ (Lukas 6, 36). Falls Sie Fragen zum Ursprung und zur Auswahl der Jahreslosung haben, finden Sie hier einige informative Antworten.

Die Jahreslosung stammt aus der sogenannten „Feldrede“, die Lukas im 6. Kapitel seines Evangeliums überliefert. Darin finden sich viele Parallelen zur etwas bekannteren „Bergpredigt“, die im Matthäus-Evangelium zu finden ist. Wenn Sie nachlesen wollen, in welchem Kontext die Jahreslostung steht, können Sie das hier tun (zum Beispiel die Verse 27 bis 37).

Jahres-Themen | Gedanken

Ist das bei Ihnen ähnlich? Die Tagesschau oder die Tagesthemen zu schauen gehört für mich zur täglichen Routine. Besonders in diesen Zeiten verpasse ich die Sendungen nur selten, um auf dem neuesten Stand der Infektionszahlen und der Maßnahmen gegen die Pandemie zu sein und mit Hintergrundinformationen versorgt zu werden.

Wie gebannt verfolge ich diese Informationen. Gleichzeitig habe ich mich aber auch oft nach anderen Nachrichten gesehnt und so habe ich beim Nachdenken über die Jahreslosung für 2021 von folgender Einleitung bei den Tagesthemen geträumt:

Das wäre doch etwas, wenn wir das Jahr 2021 zum Jahr der Barmherzigkeit werden ließen!

12 Monate, um verletzenden und hässlichen Worten zu widersprechen und geballten Fäusten und übergriffigem Verhalten Einhalt zu gebieten.

365 Tage, um unser Miteinander auch in Zeiten von Abstandhalten fantasievoll zu pflegen und zu prägen durch Anteilnahme, Fürsorge und Zärtlichkeit.

Illusorisch? Eine Überforderung?

Wir wissen alle, dass die Realität ganz anders aussieht. Dass die Nachrichten voll davon sind, wie unbarmherzig es in der Welt zugeht. Dass wir selbst immer wieder scheitern an dem Anspruch, liebevoll und barmherzig sein zu wollen. Oder dass wir ausgenutzt werden, wenn wir es ernsthaft versuchen.

Barmherzigkeit hat es gegenwärtig schwer. Wer irgendeinen Fehler macht, wird in den sozialen Netzwerken zuweilen hingerichtet. Unerbittlichkeit, Häme und Hass scheinen alle Barmherzigkeit zu verdrängen. Politiker, die zur Solidarität mit den Schwächsten aufrufen, bekommen Morddrohungen. Der Mord an dem Politiker Walter Lübcke, der sich für die Aufnahme von Geflüchteten eingesetzt hatte und rechtsradikaler Hetze öffentlich entgegengetreten war, hat gezeigt, dass es nicht immer bei diesen Drohungen bleibt.

Auf Hass, Häme und Gewalt mit Barmherzigkeit zu reagieren, ist schwer. Und erfordert manchmal auch großen Mut. Wie umgehen mit Menschen, die die verrücktesten Verschwörungstheorien im Netz und auf der Straße verbreiten – ohne Maske und Abstand, versteht sich. Wie umgehen mit Menschen, die sagen: Gerade jetzt muss ich erst mal an mich selbst denken. Um die Not der anderen kann ich mich nicht auch noch kümmern?

Und doch hat sich im vergangenen Jahr auch gezeigt: In der Pandemie ist Barmherzigkeit eine zentrale Ressource, an der sich entscheidet, ob wir geschwächt oder gestärkt aus dieser Erfahrung hervorgehen. Nicht darum kann es gehen, uns wortstark und mit Getöse Gehör zu verschaffen, um damit für unsere „Freiheit“ zu streiten. Sondern es geht um Barmherzigkeit und Mitgefühl, die sich manchmal auch darin zeigen können, dass wir auf unsere gewohnten Freiheiten eine Zeit lang verzichten, weil uns z.B. das Schicksal der 87jährigen in ihrem Seniorenheim anrührt, die ihre Enkelkinder schon Monate nicht mehr in den Arm nehmen konnte, oder das der Krankenschwester, die angesichts der vielen Covid-19-Kranken mit ihrer Kraft am Ende ist, oder das des kleinen Jungen, der mit seiner Familie in einer 2-Zimmer-Wohnung lebt und spürt, wie die Angst der Eltern um sich greift. Es sind diese Bilder, die uns anrühren, die uns bewegen sollten.

Dass es Zeiten gibt, in denen wir besonders auf uns selbst achten, ist nachvollziehbar. Wie man sich bei einer schweren Erkrankung für einige Zeit fokussieren und nur auf sich konzentrieren muss, damit die Heilung vorangeht, so ist es auch bei einer Krise wie der Corona-Pandemie. Doch zugleich ist es trotzdem wichtig, die anderen im Blick zu behalten, empfindsam füreinander zu bleiben, die Türen füreinander offen zu halten.

Barmherzig zu sein – das ist ein Auftrag Gottes an uns alle.  Sei barmherzig mit Dir, sei barmherzig mit anderen, du verlierst nichts dabei. Du gewinnst. Wer barmherzig ist, schließt verfahrene Situationen auf, erreicht Herzen und schafft Umdenken bei Festgefahrenem.

Wir werden auch im Jahr 2021 an diesem Auftrag immer wieder scheitern. Und gerade dann sollten wir auch barmherzig mit uns selbst sein. Wenn wir mal wieder auf andere geschimpft haben oder wenn wir uns taub gestellt haben gegenüber den Hilferufen von Menschen in Not.

Wer mit sich selbst nicht nachsichtig ist, hat es auch schwer, anderen Schwächen und Fehler nachzusehen. Wer sich selbst gegenüber zu hartherzig und wenig liebevoll ist, wird andere auch auf ihre Fehler auf ihr liebloses Verhalten festnageln. „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ – auch zu euch selbst. Wenn wir uns von Gottes Barmherzigkeit berühren lassen, dann können wir ihm getrost unser Versagen und unsere Fehltritte überlassen und jeden Tag zuversichtlich als neue Chance sehen, unsere Herzen auf die Liebe Gottes auszurichten.

Lassen Sie es uns doch versuchen mit dieser Barmherzigkeit! Lassen Sie es uns versuchen, aus der Kraft Gottes, ohne Sorge, aus Freiheit barmherzig zu leben.

Lassen Sie es uns doch versuchen, dass wir uns an diese zwei Abstandsregeln halten: Haltet euch fern vom Richten und haltet euch fern vom Verdammen! Und dass wir die wirklich wichtige Anstandsregel beachten: Vergebt einander! Ich bin mir sicher, die Wirkung wird uns überraschen!

Ich wünsche uns allen, dass wir am Ende dieses Jahres 2021 auf 365 Tage zurückblicken können, in der sich die Reproduktionszahl der Ansteckung durch unser barmherziges Verhalten vervielfacht hat und Gottes Barmherzigkeit auf der ganzen Welt wieder stärker sichtbar und spürbar wird. Amen.

Jahres-Themen | Fürbitte

Barmherziger Gott, vor allem Bitten wollen wir dir danken für das, was du uns jeden Tag an Gutem tust und an Nähe schenkst. Dein Liebe und Barmherzigkeit zu spüren ist eine wichtige Stärkung.

Darum bitten wir dich nun

für alle, die sich nach Verständnis sehnen:
Sei ihnen nahe und segne jeden Schritt, der Mitgefühl bezeugt;

für alle, die sich nach Gemeinschaft sehnen:
Sei ihnen nahe und segne jeden Schritt, der Einsamkeit zu durchbrechen vermag;

für alle, die sich nach Heilung sehnen:
Sei ihnen nahe und segne jeden Schritt, der Not lindert;

für alle, die nach Frieden suchen:
Sei ihnen nahe und segne jeden Schritt, der Hass mindert;

für alle, die sich nach Gerechtigkeit ausstrecken:
Sei ihnen nahe und segne jeden Schritt, der aufatmen und aufrecht gehen lässt;

für alle, die sich in den Dienst der Barmherzigkeit stellen:
Sei ihnen nahe und segne jeden Schritt, der Zuwendung erfahrbar macht und auch vor Erschöpfung schützt.

Und wir bitten dich für uns, die wir uns in Barmherzigkeit üben wollen.
Sei uns nahe und segne jeden Schritt, der uns dir und unseren Mitmenschen näherbringt.

Gott, sei du unsere Lebensmitte.

Bleibe bei uns auf dem Weg in noch unbekannte Tage.

Amen.

Jahres-Themen | Segen

Alles, was gut ist,
alles, was still ist und stark,
alles, was wärmt und weitet,
was den Leib erfreut,
das Herz bezaubert
und die Seele birgt,
alles, was die Liebe stärkt und das Recht stützt,
komme über uns und durch uns
in die Welt.

(Jacqueline Keune, Scheunen voll Wind. Gebete und Gedichte, db Verlag, Horw/Luzern, 2016, S. 42)

Sternen-klar | Sonntag, 10. Januar 2021

Ein „Lichtblick“ von Andrea Sangmeister-Behr

Noch sind sie abends in vielen Lorsbacher Fenstern zu sehen: die beleuchteten Sterne, die die Advents- und Weihnachtszeit in den dunklen Abendstunden erhellen. Natürlich haben sie alle etwas mit „dem“ Stern zu tun, um den es im heutigen „Lichtblick“ geht.

Sternen-klar | Gedanken


Wer eine „Eins mit Sternchen“ bekommen hat, wird für eine besondere Leistung ausgezeichnet. Hotels haben Sterne, um ihre Güteklasse darzustellen und für ausgezeichnete Restaurants gibt es Michelin-Sterne. „Star“ ist die Bezeichnung für einen umschwärmten Künstler. Man könnte diese Liste noch vielfältig erweitern – über Automarken bis hin zu den Sternenbannern zahlreicher Staaten und Organisationen.

Wir sprechen auch davon, dass das Leben „Sternstunden“ hat, besondere Augenblicke, in denen ein Ziel erreicht oder ein Wunsch erfüllt wurde oder in denen etwas geglückt ist. So sind Sterne in unseren Sprachgebrauch mit vielfältiger Bedeutung eingegangen.

Die Sterne, die Lichter der Nacht, haben Menschen von jeher fasziniert. Schon sehr früh in der Geschichte der Menschheit wurde der Himmel sorgsam und systematisch beobachtet. Man geht davon aus, dass die Heimat der Sternenkunde in der der babylonischen Kultur anzusiedeln ist.

Unsere Geschichte nimmt uns mit dorthin. Wissenschaftler waren bei der Arbeit. Sie beobachteten die Sterne und leiteten daraus ihre Erkenntnisse ab. Im 2. Kapitel des Matthäusevangeliums steht (ab Vers 1):

Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten.

In ihrer wissenschaftlichen „Sprache“, in ihrer Erfahrung wurden diese Sterndeuter, Magier, Könige oder wie auch immer wir sie nennen wollen dabei von einem neuen leuchtenden Stern angesprochen. Vielleicht war es sogar die auffällige Engstellung von Saturn und Jupiter – eine Konstellation, die auch in den letzten Wochen für uns am Sternenhimmel sichtbar war. Hier ein kurzer „Faktencheck“ zu den Hintergründen:

Dieser Stern drängte die Weisen nicht, er überredete oder zwang sie zu nichts. Er weckte einfach ihr Interesse und ihre Neugier, so dass sie, ganz Wissenschaftler, mehr über seine Bedeutung herausfinden wollten.

Aber auch auf einer anderen Ebene sprach er sie an. Vielleicht kennen Sie das Bild „Die Sternennacht“ des niederländischen Malers Vincent van Gogh.

Der Künstler, der vermutlich unter Depressionen litt, war Patient in einer Nervenheilanstalt, als er das Bild malte. Als Hoffnungsbild sehen viele das Gemälde des Künstlers. Als einen Versuch, seine Krankheit zu bändigen. Vor allem aber als Versuch, das Gefühl zu bekämpfen, nutzlos dahin zu leben.

In einem seiner Briefe schrieb van Gogh zur Sternennacht: „Dies alles hält mich nicht davon ab, ein unbändiges Verlangen nach – soll ich das Wort sagen? – nach Religion zu haben. Dann gehe ich in die Nacht hinaus, um die Sterne zu malen.“

Sternenklare Nächte eröffnen einen Blick in die Unendlichkeit. Staunenswert und unfassbar. Aus dem Dunkel der Nacht heraus wird sichtbar, was die Erde umgibt. So war der Stern auch ein Sehnsuchtszeichen. Die Weisen wurden zu Gottsuchenden. Sie packten Geschenke ein, mit denen sie dem neugeborenen König huldigen wollten.

Aber sie erreichten ihr Ziel nicht auf Anhieb. Sie suchten den neugeborenen König an einem Ort, wo man neugeborene Könige eben sucht: Bei den Mächtigen im Königspalast in Jerusalem, wo sonst? Dabei erlebten sie, was wie eine Nachricht aus der vergangenen Woche klingt: Der König bekam Angst um seine Macht und stachelte seine Schergen zu Verbrechen an, um seine Macht zu sichern.

Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem, und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte. Und sie sagten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten (Micha 5,1): »Und du, Bethlehem im Lande Juda, bist mitnichten die kleinste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.« Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre, und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass auch ich komme und es anbete.

Die Weisen spürten instinktiv, dass der König Böses im Schilde führte. Aber sie bezogen die Erkenntnisse der Schriftgelehrten (Kollegen aus einer anderen wissenschaftlichen Zunft) in ihre Überlegungen ein und brachen auf zum neuen Ziel Bethlehem. Diesmal ging der Stern sogar vor ihnen her.

 Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war. Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und sahen das Kindlein mit Maria, seiner Mutter…

„Die Sehnsucht Gottes ist der Mensch“, so der Heilige Augustinus, und deshalb kommt, wer Gott sucht – beim Menschen an. Bei dem verletzlichen Kind Jesus waren die Sterndeuter am Ziel. Weil Gott Mensch geworden ist, kann der Weg zu Gott nicht am Menschen vorbei gehen. Jesus sollte das in der Zeit seines öffentlichen Wirkens verkünden und zeigen.

So ist es folgerichtig, dass die Sternsinger, die normalerweise in diesen Tagen von Haus zu Haus ziehen, ihre Gaben denen zukommen lassen, die schwierigen Situationen sind.

…und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Die Sterndeuter damals brachten Gaben, die wir als Symbole verstehen können: Gold gilt als Zeichen dafür, dass sie das Kind als König anerkennen. Weihrauch, ein Baumharz, das beim Verbrennen duftet, hat reinigende, desinfizierende Wirkung und symbolisiert das Göttliche. Myrrhe, ebenfalls eine Art Harz des Balsambaumes, ist wohlriechend und schmeckt bitter. Sie wurde als Betäubungsmittel und für die Einbalsamierung von Leichen gebraucht. Sie steht auch als Zeichen für das menschliche Leid, das Jesus erfahren würde.

Und da ihnen im Traum befohlen wurde, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem  anderen Weg wieder in ihr Land.

Ein Bilck in den Sternenhimmel – oder auch der Blick auf einen weihnachtlich erleuchteten Stern in Lorsbach – vielleicht kann ein solcher Blick auch in uns die Sehnsucht nach Gott wecken und uns wieder neu zu Gottsuchern machen. Und vielleicht finden wir als solche schließlich auch andere Menschen – wie die Sterndeuter. Und vielleicht haben auch wir Geschenke zu verteilen, deren Wert wir möglicherweise selbst gar nicht ermessen können.

Angelehnt an Predigten von Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing, und von Dr. Anna Hennersperger, Leiterin des Bischöflichen Seelsorgeamtes der Katholischen Kirche Kärnten.

Sternen-klar | Lied

„Die Sternsinger“ sind ein Teil des Kinderhilfswerks der katholischen Kirche in Deutschland mit Sitz in Aachen. Für ihre diesjährige Aktion haben sie das folgende sehr gut in unseren Zusammenhang passende Lied aufgenommen.

Auf der Seite www.sternsinger.de kann man den Sternsingern übrigens virtuell die Tür öffnen – und auch etwas in eine digitale Spendendose werfen…

Sternen-klar | Segen

Gesegnet sind wir –
den drei Weisen aus dem Morgenland gleich,
die wir das Alte hinter uns lassen
und uns aufmachen zum Licht!

Gesegnet sind wir –
den Hirtenfamilien gleich,
die wir den Ruf des Engels hören:
Fürchtet euch nicht!

Gesegnet sind wir –
der Engelschar gleich
in der Erinnerung an ihre weihnachtliche Botschaft:
Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden
den Menschen seines Wohlgefallens,
also uns Menschen,
nach denen Gott sich sehnt.

Geh in diesen Tag und in die neue Woche mit dem Segen Gottes:
Gott segne dich und behüte dich.
Gott lasse sein Antlitz leuchten über dir und sei dir gnädig.
Gott erhebe sein Antlitz auf dich und gebe dir Frieden.

Amen

Angelehnt an ein Segensgebet von Pfarrerin Heike Bosien (Baden-Württemberg)

Sternen-klar | Nachspiel

2016 feierte der Dresdner Kreuzchor sein 800-jähriges Bestehen. Den Auftakt zu den Feierlichkeiten gaben die Sängerknaben bereits im Dezember 2015 mit einem Konzert im Dynamo-Stadion Dresden. Dort wurde unter anderem auch das Stück „Die Könige“ von Peter Cornelius aufgeführt. Dabei singt der Chor im Hintergrund den Choral „Wie schön leuchtet der Morgenstern“, während der Solist im Vordergrund die Geschichte der Sterndeuter erzählt.